Knochenjagd (German Edition)
Yellowknife hatte seine Tage in der Sonne.«
»Tatsächlich?« Ryan interessierte sich nicht für Gold. Ich wusste, dass er Tyne nur lockerer machen wollte.
»Achtzehn achtundneunzig. Ein Goldsucher auf dem Weg zum Yukon hatte Glück. Und das Kaff wurde über Nacht zu einer Boomstadt.« Tyne lachte. Es klang wie ein Schluckauf. »Soll heißen, dass die Bevölkerung auf satte tausend explodierte. Erst im nächsten Jahrhundert bekam der Bergbau wirtschaftliche Bedeutung.«
»Wir viele Minen gab’s hier?«
»Con machte 1936 auf, schloss 2003. Giant machte 1948 auf, schloss 2004. Erschöpfte Vorkommen, hohe Produktionskosten. Der altbekannte Blödsinn, den die Konzerne immer vorschieben. ›Die Profite sind im Keller, und deshalb, Kumpel, hast du jetzt keinen Job mehr.‹«
»Das tut mir leid«, sagte Ryan.
»Mir auch.« Tyne schüttelte den Kopf. »Die Con war was Besonderes. Ihre Stollen gehen hundertundsechzig Meter in die Tiefe und erstrecken sich unter einem Großteil von Yellowknife und Yellowknife Bay bis fast nach Dettah. Und Giant war auch nicht ohne. 1986 war sie eine von nur einer Handvoll Minen, die über zehntausend Goldbarren ausstießen. Ich meine jetzt weltweit.«
Ich erinnerte mich plötzlich an einen Vorfall, durch den die Giant-Mine traurige Berühmtheit erhalten hatte. 1992 ermordete ein unzufriedener Bergmann neun Männer, sechs davon Streikbrecher. Seine Bombe zerstörte ihren Förderkorb in zweihundert Metern Tiefe. Das Verbrechen war das schlimmste in der kanadischen Arbeitsgeschichte.
»Soweit wir wissen, engagieren Sie sich für die Erhaltung der Umwelt«, sagte ich.
»Irgendjemand muss ja Stellung beziehen.«
»Für das Karibu.«
»Das Karibu. Die Seen. Die Fische. Das Diamantschürfen wird das ganze verdammte Ökosystem zerstören.«
Damit hatte ich nicht gerechnet. »Diamanten?«
»Der Schatz unter der Tundra?« Tynes Stimme troff vor Geringschätzung. »›Der Tod der Tundra‹ würde besser passen.«
Ryan warf mir einen schnellen Blick zu. Jetzt hatten wir genug um den heißen Brei herumgeredet. »Sie kennen also Annaliese Rubens Familie«, sagte er, weil er zum Punkt kommen wollte.
»Kannte ihren Vater ziemlich gut. Farley McLeod war eine ziemlich wilde Type.«
»War?«
»Tot. Er und ich haben für Fipke gearbeitet.«
»Fipke?«
»Im Ernst?«« Tyne schaute mich an, als hätte ich von ihm verlangt, Seife zu erklären.
»Im Ernst.«
»Chuck Fipke wird die Entdeckung von Diamanten in der Arktis zugeschrieben. Zusammen mit einem Kerl namens Stu Blusson. Jeder hielt die beiden für verrückt. Aber wie sich zeigte, waren sie es nicht. Dank Chuck und Stu geht’s jetzt den Karibus an den Kragen.«
»Diamanten sind in den Territories an die Stelle von Gold getreten?«, fragte ich.
»Im Ernst?«
Tyne liebte diesen Spruch. Doch diesmal spielte ich nicht den Papagei. »Wie viele Minen?«
»Ekati hat 98 aufgemacht, Diavik 2003, Snap Lake 2008. Sie ist die einzige unterirdische.«
»Wo liegen sie?«
»Einige Hundert Kilometer weiter nördlich. Snap Lake ist De Beers’ erste Mine außerhalb von Afrika. Jetzt versuchen sie, noch eine in Betrieb zu nehmen. Gahcho Kué. Wird kein Karibu mehr übrig sein, wenn diese Mistkerle fertig sind.«
Mein Wissen über die Diamantenindustrie war beschränkt. Nein. Das ist zu großzügig. Ich wusste, dass ein gewisser Cecil Rhodes Ende des neunzehnten Jahrhunderts De Beers gegründet hatte, dass die Gruppe Sitze in Johannesburg und London hatte und verantwortlich für fünfundsiebzig Prozent der weltweiten Diamantenproduktion war. Ich wusste, dass Angola, Botswana, Namibia, Russland und Südafrika reich an Diamanten waren. Ich hatte keine Ahnung, dass auch Kanada in diesem Geschäft eine Rolle spielte.
»Sie sagten, Sie hätten abgesteckt. Was heißt das?«
»Dass man Pflöcke in den Boden rammt.«
»Um einen Claim anzumelden.«
»Sie sind schnell, kleine Dame.«
»Im Ernst.«
Tyne deutete mit dem Finger auf mich. »Als Fipke seine Pipe fand, brach hier die Hölle los. Dagegen war der Klondike-Rausch eine Gartenparty.« Tyne lachte wieder seinen Schluckauf. »Natürlich sind diese Zeiten längst vorbei. Heute gibt’s keinen Quadratmeter Tundra mehr, der nicht von irgendeinem Trottel abgesteckt wurde, der auf Reichtum hofft. Und die Großen haben jeden Claim aufgekauft, der auch nur ein bisschen was wert ist. Rio Tinto. BHP Billiton. De Beers.«
»Was ist eine Pipe?«, fragte ich.
Tyne kniff die Augen zusammen. »Ich dachte, Sie
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