Knochenkälte
unserem Gehirn sind irgendwelche chemischen Stoffe zu stark ausgeprägt.«
Ich weiß, dass er an dasselbe denkt wie ich. An die vielen Schädel in ihrem Bett aus Knochen - alle oben aufgeschlagen.
Ich stöhne. »Wir sind also was Besonderes.«
»Vielleicht hat die Bestie ja nur einen besonders guten Geschmack?«
»Na klar. Hey, Pike soll gut auf dich aufpassen, okay?«
Es gefällt mir nicht, wie er redet. Zu ruhig. Extrem Howieuntypisch.
»Meinst du, ich dreh bald durch und mach mich in die Nacht davon?«
»Könnte doch sein.«
»Keine Sorge. Pike hält mich immer unter Verschluss. Ich darf nicht mal ohne Begleitung pinkeln gehen.«
»Gut.«
»Aber wer behält dich im Auge?«
Jetzt wo ich aus meinem Fenster in die immer düsterer werdenden Schatten hinausschaue, weiß ich genau, wer mich ständig im Auge behält.
siebenundzwanzig
Howie hat mir erklärt, wo ich suchen muss. Ich folge Feldweg 1 an den überwucherten Eisenbahnschienen vorbei, die dahin führen, wo die Fraser Mühle gestanden hat, bis sie vor zwanzig Jahren abgebrannt ist.
Immer weiter stapfe ich unter den Stromkabeln entlang, die sich von den großen Umspannanlagen in Barrie nach Norden hin erstrecken. Etwa eine halbe Meile jenseits der Mühle finde ich, was ich Howie zufolge suchen sollte. Von der obersten Anschlussstelle eines Strommastes schlängelt sich ein schwarzes Kabel an den Drähten über meinem Kopf vorbei bis zum Boden, biegt von der Straße Richtung See ab und verschwindet unter der Schneedecke.
Ich gehe ihm nach. Alle paar Schritte muss ich den Schnee zur Seite scharren, um sicherzugehen, dass ich nicht die Spur verliere. Mit einem Auge halte ich Ausschau nach jeder Regung, auch wenn gerade helllichter Tag ist und ich daher in Sicherheit sein müsste. Aber ich sehe nur ein paar Krähen, tintenschwarze Umrisse vor der Blässe des Himmels. Weiß und unangetastet erstreckt sich die Landschaft vor mir.
Mom war gern die Erste, die ihren Fuß auf unberührten Schnee setzte. Wenn es über Nacht geschneit hatte, zerrte sie
mich am frühen Morgen hinaus in den Park. Wir wären wie zwei Leute, die auf dem Mond herumspazieren, sagte sie - weil wir etwas betreten, was noch keiner vor uns betreten hat.
»Ihre Schuhspuren sind immer noch da oben«, sagt sie. »Auf dem Mond gibt’s keinen Wind, nichts kann den Mondstaub verwehen. Also sind die Abdrücke immer noch genau so, wie sie sie damals hinterlassen haben. Bis in alle Ewigkeit.«
Der neu gefallene Pulverschnee, frisch und erwartungsvoll, hätte ihr bestimmt gefallen. Schade, dass es auf Erden so was wie bis in alle Ewigkeit nicht gibt.
Das Kabel überquert einen flachen Hügel. Von oben kann ich sehen, wo es endet.
Der Wohnwagen ist auf Zementblöcken aufgebockt, die letzten Fetzen Farbe blättern von den Wänden ab. Außer diesem Ding ist hier meilenweit gar nichts.
So mag es Mangy Mason, genau so.
Ich hab Howie und Ash heute Morgen von meinem verstörenden Gespräch mit dem Typen erzählt.
»Mason ist ein Irrer«, sagte Howie. »Aber er lebt schon länger in der Bucht als sonst irgendjemand. Vielleicht weiß er wirklich was. Was haben wir schon anderes in der Hand?«
»Einen Versuch ist es wert«, pflichtete Ash ihm bei. »Ich komme mit und halte dir den Rücken frei.«
Aber ich sagte, ich würde den alten Kauz nicht verschrecken wollen. Soweit ich weiß, redet Mason nach Möglichkeit nie mit jemandem. »Da war so ein Draht zwischen uns«, sagte ich. »Ich glaube, ich sollte da lieber allein hingehen.«
Ich schreite den Hügel runter und sehe, wie das Kabel direkt unter dem Wohnwagen verschwindet. Howie hat gesagt,
Mason wird immer wieder verknackt, weil er Strom von den Masten abzapft.
Vor ein paar Jahren hat das Ordnungsamt ihn und seinen Trailer loszuwerden versucht. Das sei öffentliches Land, hieß es. Da stellte sich raus, dass Mason gar nicht so verrückt war, wie alle dachten. Er hat sein Gewohnheitsrecht geltend gemacht, weil er schon seit fünfzig Jahren hier lebt. Also hat das Ordnungsamt beschlossen, seinen Tod abzuwarten. Der Typ ist uralt - und läuft trotzdem mitten im Winter im T-Shirt rum. Der klopft nicht nur an die Tür des Todes, er hämmert regelrecht dagegen.
Als ich mich dem Müll-Labyrinth nähere, der seinen Wohnwagen umgibt, ist von Mason keine Spur zu sehen. Zig Autoreifen sind zu Stapeln aufgeschichtet, als würde er eine Festung bauen. Verblichene Kühlschränke und Herde ducken sich unter der Schneedecke, daneben stehen eine
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