Knochenkälte
kann sie nicht abschütteln.
Endlich greifen die Räder, wir schießen los. Niemand sagt ein Wort. Wir starren alle nur auf das Fleckchen Erde direkt vor uns, das von dem einen heilen Scheinwerfer erhellt wird.
Wir sind hergekommen, um Antworten zu finden. Einen Ausweg aus diesem Albtraum. Aber es gibt keinen Ausweg. Die ganzen verschwundenen Teenager. Die ganzen Knochen.
Howie und ich, wir sind als Nächste dran.
fünfundzwanzig
»Ich fasse mal zusammen«, sagt der Bulle. »Da draußen treibt sich ein Monster rum, das Teenager jagt und umbringt? Hab ich das richtig verstanden?«
Am Morgen nach unserem Trip in die Unterwelt stehen wir alle draußen an der verschneiten Uferlinie vor der Eisfabrik. Officer Baker von der Ontario Provincial Police runzelt die Stirn mit den buschigen schwarzen Augenbrauen und starrt uns an. Er hält uns für bekloppt. Ich kann’s ihm nicht verdenken.
»Kein richtiges Monster«, sage ich. »Mehr wie ein... wildes Tier. Wir können Ihnen zeigen, wo es sich versteckt hält. Ehrlich.«
Ich hatte die Nummer angerufen, die auf dem Flyer mit Ray Dysons Vermisstenanzeige stand, und nach dem Polizisten gefragt, der letzte Woche bei uns in der Schule gewesen war. Das war eine Verzweiflungstat, aber was anderes war mir einfach nicht eingefallen, und deswegen war ich jetzt der Sprecher unserer Gruppe. Am Telefon hatte ich mich ziemlich bedeckt gehalten, weil ich mir schon dachte, dass ich den Mann nie dazu kriegen würde, hierherzukommen, wenn ich ihm gleich die ganze Geschichte erzählte. Also sagte ich nur, ich hätte was entdeckt, was mit Ray Dysons Verschwinden zusammenhing,
und er sollte zur Eisfabrik rauskommen. Natürlich hatte er mehr wissen wollen. Aber ich sagte, das müsste er sich schon persönlich angucken.
»Ihr habt also ein blutiges Stück Stoff gefunden?«, sagt Baker. »Ein Kleidungsstück, das Ray Dyson gehört hat? Aber ihr habt es dort zurückgelassen?«
Es ist jetzt schon das dritte Mal, dass wir das durchgehen.
»Genau«, sage ich. »Ich hab’s fallen lassen. Da unten in der Höhle.«
Das mit dem Knochenhaufen und den Menschenschädeln hab ich weggelassen. Man muss den Mann langsam an die Sache ranführen.
Baker funkelt erst mich an, dann der Reihe nach alle anderen. Schließlich nimmt er eine kleine Taschenlampe aus seinem Gürtel und knipst sie an. »Ich will mal eure Pupillen sehen«, sagt er und stellt sich vor mich.
»Hä?«
»Schau mich an.«
»Ich hab nichts eingeschmissen. Die Geschichte ist wahr.«
Er leuchtet mir in die Augen. Bei meiner derzeitigen Lichtempfindlichkeit fühlt es sich an, als würde er mir tausend winzige Nadeln in die Pupillen rammen. Ich blinzle und weiche zurück. Aber anscheinend hat Baker nichts Seltsames entdecken können, denn er geht zu Pike weiter.
»Der Nächste!«
Einen nach dem anderen nimmt er sich vor. Ash beißt nur die Zähne zusammen und funkelt ihn wütend an. Howie blinzelt und windet sich genau wie ich.
»Und was kommt jetzt?«, fragt Pike. »Ins Röhrchen pusten?«
»Klappe«, sagt Baker. Dann wendet er sich mir zu. »Ihr habt mir also was zu zeigen? Dann mal los.«
»Hier entlang«, sage ich.
Ich führe ihn über den Hügel zu den Felsen, die über der Uferlinie aufragen. Der Neuschnee hat unsere Spuren der letzten Nacht überdeckt, das Gehen ist mühsam. Die ganze Landschaft brennt grellweiß in meinen schmerzenden Augen.
Der Wind, der vom See herüberweht, muss sich übel anfühlen - für mich allerdings nicht. Keine Ahnung, ob mein Eisfieber schlimmer wird. Ich hab meine Temperatur immer wieder gecheckt, sie ist erschreckend niedrig. Als würde ich längst in einer Metallschublade unten im Leichenschauhaus liegen.
Auch ohne die alten Spuren hab ich keine Schwierigkeiten, den Weg zu finden. Er hat sich in mein Gehirn eingebrannt, genau wie jedes andere Detail unseres nächtlichen Ausflugs in die Unterwelt.
»Wie weit ist es noch?«, brummt Baker hinter mir.
»Nur noch an der Kante da vorbei.«
Wir quetschen uns durch den Einschnitt an den Felsen vorbei in die Lichtung.
»Hier lang.«
Ich stürme voraus, lasse den Blick über die Steinoberfläche wandern. Ich bremse ab, schiebe mich Schritt für Schritt näher heran. Meine Augen gleiten über den rauen Felsen vor mir. Der Tunnel ist...
Wo ist er?
Ich trete ein paar Meter zurück, versuche, mich zu orientieren.
Nein. Nein. Das kann nicht sein!
Die Tunnelöffnung ist verschwunden.
»Howie?«
Er schließt zu mir auf und sucht mit.
Wo ist es?
Weitere Kostenlose Bücher