Knochenkälte
kommt.
Pike will die Bestie umbringen. Ein Raubtier umbringen, das in tausend Jahren nicht einen einzigen Kratzer abgekriegt hat.
Ich muss jetzt über die Straße und einsteigen.
Tu es! Tu es!
Aber meine Füße rühren sich nicht vom Fleck.
Ich kann Howie nicht in diesem Albtraum zurücklassen. Ich weiß, wie das ist, wenn man allein zurückgelassen wird. Das kann ich ihm nicht antun.
Und wer ist als Nächstes dran, wenn ich weg bin? Pike? Ash?
Sie hat versucht, mir beizubringen, wie man kämpft. Aber ich bin kein Kämpfer. Es ist ihr unermüdlicher Antrieb, der sich auf mich übertragen hat. Für Ash gibt’s kein Aufgeben. Flucht ist keine Lösung.
Der Bus hält vor dem Laden, steht da und wartet.
Letzte Chance.
Manchen Dingen kann man auch durch Flucht nicht entkommen. Wie auch immer das hier enden sollte - es wird hier und jetzt enden.
Ich bleibe am Highway stehen, bis der Greyhound wieder abfährt. Er schiebt sich den schneeverwehten Highway entlang, zwischen endlosen weißen Feldern hindurch.
Ich stoße einen tiefen Seufzer aus. Aber da ist kein Bedauern.
Immer kleiner wird der Bus in der Ferne. Ich wende mich vom Highway ab. Jetzt heißt es wieder, per Anhalter zurückfahren. Das heißt, ich werde genug Zeit haben, um mich zu wappnen. Um mir ein paar Eier mit Mumm wachsen zu lassen, wie Pike sagen würde.
Da wo ich hingehe, werde ich allen Mumm brauchen, den ich kriegen kann.
Ich muss zurück in den Albtraum, um Howie zu holen.
dreißig
»Wo warst du?«, fragt Dad, als ich mich mitsamt meinem Rucksack ins Haus schleiche.
»Draußen.«
Er sitzt am Küchentisch, den Werkzeugkasten neben sich, und schraubt an einem Mixer herum.
»Wo hast du den her?«, frage ich.
»Ist nur ein Reparaturauftrag.«
Auf dem Tisch stehen mehrere leere Bierflaschen. Das allein wäre nichts Ungewöhnliches. Aber an einer klebt oben Lippenstift.
»Von wem erteilt?«, frage ich, dabei kenne ich die Antwort längst.
Dad tut so, als hätte er mich nicht gehört. Aber dann sieht er, wie ich die lippenstiftverschmierte Flasche in die Hand nehme.
»Von der Frau aus dem Red and White .«
»Andrea?«
»Ja, ich glaube, so heißt sie.« Er schiebt irgendwelche Teile auf dem Tisch hin und her.
»Aha. Die gefällt dir, was?«
Bei all der Panik und der Untergangsstimmung, die sich
meiner bemächtigt haben, kann ich trotzdem ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
Andrea gibt einfach nicht auf. Erst hat sie diesen blinkenden Zwergweihnachtsbaum hergebracht. Dann einen Auflauf und eine Lasagne. Gute Ideen, die ihr aber nur ein gegrummeltes »Hätten Sie nicht machen brauchen« eingebracht haben. Aber das mit dem Mixer war ein genialer Einfall. Der direkte Weg zu Dads Herz führt über eine Bitte, irgendwas für einen zu reparieren. Der Mann ist dazu geboren. Damit hat Andrea jetzt einen Fuß in der Tür. Sie durfte sogar ein Bier mittrinken.
Dad zeigt auf meinen Rucksack. »Was hast du da alles drin?«
Sag irgendwas, schnell. »Sportsachen. Ich hab trainiert.«
»Aha. Deine Freunde haben übrigens angerufen. Stimmt was mit deinem Handy nicht?«
»Die Batterie muss den Geist aufgegeben haben.«
In Wahrheit hab ich das Ding ausgeschaltet. Schließlich hatte ich abhauen wollen - und da konnte ich keinen gebrauchen, der mir das auszureden versucht.
Dad greift sich ein Stück Küchenrolle, um sich die Vaseline von den Händen abzuwischen. »Howie liegt also wieder im Krankenhaus?«
»Ja.«
»Armer Junge. Meinst du, es ist was Ernstes?«
Was Todernstes. »Keine Ahnung.«
»Wie geht’s dir eigentlich?«, fragt Dad. »Du siehst ziemlich fertig aus.«
»Na ja, das Training hat mich echt geschlaucht.«
»Bist ganz schön blass.« Dad legt mir seinen Handrücken
an die Stirn. So schnell kann ich mich nicht wegducken. In seinen Augen blitzt Verblüffung auf. »Du bist ja eiskalt.«
Ich weiche einen Schritt zurück. »Da draußen ist es auch bitterkalt. Keine Sorge, mir geht’s gut, muss mich nur ein bisschen aufwärmen.«
»Ich dreh die Heizung auf.«
»Nein!«, sage ich viel zu laut. Ich bin doch sowieso schon am Totschwitzen. »Ich meine, schon gut, ich zieh mir einen Pullover oder so an. Mach dir keine Sorgen.«
Aber Sorgenmachen kann Dad am allerbesten.
»Okay«, sagt er schließlich. »Aber pass gut auf dich auf, ja? Vielleicht geht ja gerade was um.«
Wie recht er hat. Etwas mit zwanzig Zentimeter langen Zähnen und einer Vorliebe für Jugendliche.
Ich mache mich auf den Weg zu meinem Zimmer.
»Ich mach
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