Knochenpfade
bleibt. Schick ihr eine SMS, statt sie anzurufen. Dann wird sie dir sofort antworten.” Kurze Pause. “Weiß A.D. Kunze von deinem Ausflug?”
“Natürlich weiß er Bescheid.” Es nervte Maggie, dass sie so verärgert klang. “Wurth hat sich bei ihm erkundigt, ob es in Ordnung ist.” Sie sparte sich die Bemerkung, dass Kunze der Vorschlag sehr gut gefallen hatte. Tully würde sich das selbst denken. Er hatte Kunzes Aggressionen im vergangenen Herbst zu spüren bekommen, als er vorübergehend suspendiert worden war. “Wahrscheinlich ist es keine große Sache”, redete Maggie weiter. “Ein paar Körperteile, die in einer Kühlbox auf See gefunden wurden.”
“Schon wieder Körperteile.” Sie hörte, wie Tully am anderen Ende lachte. “Klingt so, als wärst du jetzt Expertin für Killer, die ihre Opfer zerstückeln.”
Sie hätte selbst auch darüber gelacht, wenn es nicht so nah an der Wahrheit gewesen wäre. Dann, nachdem sie so viel Mühe darauf verwandt hatte, das Thema zu wechseln, hörte Maggie sich plötzlich sagen: “Tust du mir bitte einen Gefallen und sagst Gwen nichts von dem Vorfall heute?”
“Alles klar.” Diesmal hatte es keine Pause, kein Zögern gegeben. Ein Partner, der dem anderen Rückendeckung gab. “Sag Bescheid, wenn ich irgendwie helfen kann … bei diesem Fall”, fügte er hinzu und gab ihr so die Gelegenheit, das Thema zu überspielen.
6. KAPITEL
Hilton Hotel
Pensacola Beach
Scott Larsen trank sein Bier vom Fass und wartete auf den Mann, den er in Gedanken schon den Leichenmakler getauft hatte. Das konnte man fast als eine Art Kosenamen sehen, sozusagen von Kollege zu Kollege. Schließlich machte sich Scott ja auch nichts daraus, dass manche Leute – seine Frau inbegriffen – ihn einen Verkäufer des Todes nannten. Das klang immerhin aufregender als Leichenbestatter oder Bestattungsunternehmer.
Von der Strandbar aus beobachtete er den Hintereingang des Hotels. Das war jetzt das erste Mal, dass sie sich außerhalb von Scotts Büro trafen. Scott war gut in seinem Job, konnte gut den Profi geben. Im Privatleben war er weniger geschickt, ein lockerer Umgang mit seinen Mitmenschen lag ihm nicht. Doch in seinem Beruf hielt man ja das Privatvergnügen vom Geschäft immer streng getrennt, also war alles in Ordnung.
Die süße blonde Barfrau hatte ihm das Glas nachgefüllt, und er fühlte sich schon ein bisschen benebelt. Er hatte noch nie viel Alkohol vertragen, nicht mal Bier. Aber er konnte sich trotzdem immer noch gut zusammenreißen. Sobald er merkte, dass die Wirkung einsetzte, sprach er ein bisschen langsamer und wählte seine Worte mit Bedacht.
Seine Frau Trish meinte immer, er sei wirklich gut darin, anderen etwas vorzumachen. Aber er hatte ja auch viel Übung. Darum ging es schließlich im Bestattungsgeschäft, oder? So zu tun, als ruhe der Verblichene in Frieden. So zu tun, als wäre er in eine bessere Welt aufgebrochen. So zu tun, als würde es einen interessieren.
Scott blickte auf seine Armbanduhr und drehte sich zum Strand um. Er versuchte, die jungen Mädchen in ihren Bikinis nicht anzustarren, die sich an diesem Samstagabend zuhauf am Strand tummelten. Er war jetzt ein verheirateter Mann. Zumindest konnte er das als Entschuldigung vorbringen. Was das Flirten betraf, war er leider genauso eine Niete. Er konnte wirklich charmant sein, wenn er es mit Witwen zu tun hatte. Ihre Hand halten und ihnen eine Schulter zum Ausweinen anbieten. Aber in einem Raum voller schöner sexy Frauen wäre von diesem Charme absolut nichts mehr übrig. Er wüsste nicht, was er tun oder worüber er reden sollte. Stattdessen bekäme er schweißnasse Hände, und die Zunge würde ihm im Hals anschwellen. Da half ihm auch seine Begabung, anderen etwas vorzumachen, nichts mehr. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich überhaupt Trish hatte schnappen können. Dafür war er dankbar und wirklich glücklich, und das würde er nie vergessen.
Er wollte sich gerade wieder zum Hintereingang umdrehen, als er einen Typen mit lockerem, selbstbewusstem Gang den Strand entlangkommen sah. Seine Segelschuhe hielt er in der einen Hand, die andere hatte er lässig in die Tasche seiner langen Kakishorts geschoben. Der Saum seines rosa Hemds flatterte im Wind. Er sah nicht unbedingt umwerfend gut aus, aber allein seine selbstsichere Art zu gehen erregte schon Aufmerksamkeit. Der Kerl wirkte eher, als sei er vom Cover eines Lifestyle-Magazins gesprungen, nicht wie ein Leichenmakler. Tatsächlich hatte
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