Knochenpfade
Wilson war so wütend, dass er den Kontrollhebel anstieß und der Hubschrauber kurz nach rechts ruckte.
“Sie hebt den Hund in den Korb.”
“Du verarschst mich doch!”, rief Ellis, aber für Maggie hörte es sich an, als würde er dabei grinsen.
“Ich habe ihr gesagt, sie soll den Hund nicht mit raufbringen.”
Maggie sah, wie Bailey das Okay-Zeichen gab, und Kesnick zögerte nicht. Er konzentrierte sich darauf, den Korb beim Hochziehen ruhig zu halten. Maggie beobachtete weiter, was Bailey da unten machte. Sie war wieder ein Stück aufs Deck gekrochen und verschwand in die Kabine.
Kesnick zog und zerrte, bis er den Korb durch die Türöffnung des Hubschraubers und in die Kabine verfrachtet hatte. Die ganze Zeit ließ er den geretteten Mann und seinen Hund nicht aus den Augen. Maggie war klar, dass er noch nichts von dem zweiten Hund ahnte, den Bailey gerade aus der Kabine zog. Sie hatte das Tier an ihre Brust gedrückt und schaffte es, ihn an ihrem Sicherheitsgurt festzuschnallen.
“Verfluchte Scheiße”, entfuhr es Kesnick, als er nach Baileys Sicherungsseil griff und das Geschehen erfasste.
“Was denn jetzt?”, fragte Wilson.
Während der Gerettete sich gegen die Kabinenwand presste und seinen offensichtlich gebrochenen Arm festhielt, blickte Maggie zwischen Wilson und Kesnick hin und her. Der Hund schmiegte sich an seinen Besitzer, hechelte und leckte dessen Hand. Maggie war froh, dass der Mann das Gespräch zwischen Wilson und Kesnick nicht hören konnte.
“Da ist noch ein Hund”, gestand Kesnick schließlich.
“Sag mir, dass sie nicht noch einen Hund hochbringt.”
“Sie bringt den zweiten Hund hoch.”
“Zieh diesen Hund nicht hoch.”
“Sie hat ihn im Rettungsgürtel. Sie hält ihn fest.”
“Verdammte Scheiße. Hol sie nicht hoch, Kesnick. Lass ihren Arsch da unten hängen, bis sie diesen gottverfluchten Hund wieder absetzt.”
Maggie beobachtete Kesnicks Mienenspiel, soweit sie es unter seinem Helm erkennen konnte. Sie glaubte einen Anflug eines Lächelns zu erkennen. Was Wilson nicht wusste und nicht sehen konnte, war, dass sich Bailey bereits auf halbem Weg nach oben befand. Sie würde jeden Moment an der Türöffnung des Hubschraubers ankommen.
22. KAPITEL
Pensacola Beach
Walter Bailey hängte das “Geöffnet”-Schild an seinen Coney Island Imbiss. Es war zu seinem Ärger doch etwas später geworden. Sonntags war bei ihm immer viel los, aber er hatte seiner Tochter Liz versprochen, vor der Arbeit Benzin zu besorgen. Er hatte etwas mehr gekauft und seiner Tochter Trish noch zwei Zwanzig-Liter-Kanister vorbeigebracht. Wie bereits vermutet, verschwendete sein Schwiegersohn Scott noch keinen Gedanken daran, sich auf den Hurrikan vorzubereiten. Trish hatte ihren Mann wie immer verteidigt.
“Er kommt aus Michigan, Daddy. Scott hat einfach keine Ahnung, was ein Hurrikan bedeutet.”
“Dann wird er es bald lernen. Der hier kommt.”
Walter hatte selbst nicht richtig daran geglaubt, als er das gesagt hatte. Aber es ärgerte ihn maßlos, dass Scott sich lieber in die Arbeit stürzte, wie Trish es formulierte, statt seiner Frau bei den Vorbereitungen zu helfen. Womöglich war es sein übertriebener väterlicher Beschützerinstinkt, aber er konnte Scott Larsen nicht leiden. Manchmal merkte man es ihm an. In letzter Zeit kümmerte ihn das aber auch nicht mehr. Trish verdiente was Besseres. Auch wenn alle meinten, dieser junge Mann wäre ein charmanter, hart arbeitender, hingebungsvoller Ehemann. Walter blickte hinter die Fassade. Vielleicht gefiel ihm auch einfach Scotts Beruf nicht. Bestattungsunternehmer waren für ihn bloß besser angezogene Verkäufer.
Als Walter am Pensacola Beach ankam, hatte der Wind aufgefrischt, und die Surfer tobten durch die Wellen. Es war, wie Walter es nannte, knallheiß. Weit und breit nicht ein kühles Plätzchen in Sicht.
Die Leute standen schon Schlange, bevor er die ersten Hotdogs fertig hatte. Aber Walter plauderte gern und unterhielt seine hungrigen und schwitzenden Kunden mit Geschichten, die sie zum Lachen brachten. Seine Karriere als Navypilot und Commander bot viel Stoff zur Unterhaltung. Während seiner beruflichen Laufbahn hatte er gelernt, Leute zu überzeugen, dass seine Mission auch ihre Mission war. Und hier am Coney Island Imbiss kauften sie ihm nicht nur seine Hotdogs und Cola ab, sondern zollten auch Walters Jugendabenteuern entsprechend Tribut. Na gut, vielleicht hatte ja der Verkäufer in ihm einfach den Verkäufer in Scott
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