Knochensplitter - Ein Alex-Delaware-Roman
Nordostecke befanden.
Die orange Tür von Nummer fünf wurde fast gänzlich durch die breiten Blätter einer Bananenstaude verdeckt, die im Schatten wucherte, aber niemals Früchte tragen würde.
Ich klingelte. Eine Frauenstimme fragte: »Larry? Hast du wieder den Schlüssel vergessen?«
Ich murmelte irgendwas, das sowohl eine Bejahung als auch eine Verneinung hätte sein können.
Die Tür wurde von einer gefährlich dünnen, braunhaarigen Frau mittleren Alters geöffnet, die ein viel zu großes Jerseytop und eine schwarze Yogahose trug. In der Hand hielt
sie eine Zigarette. Sie war barfuß. Ihre Fußnägel waren rosa lackiert, die Nägel der spindeldürren Finger rot. Eine Goldkette ruhte auf dem Spann eines von dicken Adern durchzogenen Fußes. Sie hatte einen langen, anmutigen Hals und ein Gesicht, dem man noch die einstige Schönheit ansah. Durch die Fältchen um den großen, schmalen Mund wirkte sie fast wie ein Kapuzineräffchen. Die Schatten unter den Augen kündeten von Geschichten, die nie verschwiegen werden konnten.
»Sie sind nicht Larry.« Sie hatte eine Raucherstimme und roch nach Chanel und Tabak.
»Mrs. Vander?«
»Wer will das wissen?«
Ich nannte ihr meinen Namen und zeigte ihr meine Dienstmarke.
»Ein Doktor? Ist Larry irgendwas zugestoßen?«
»Nein. Ich möchte mit ihm reden.«
»Worüber?«
»Alte Freunde.«
»Tja, er ist nicht da.« Kelly Vander wollte die Tür wieder schließen.
»Wann kommt Mr. Brackle zurück?«, fragte ich. »Es ist wichtig.«
Die Tür bewegte sich nicht weiter.
»Mrs. Vander?«
»Ich habe Sie gehört.« Hinter ihr befand sich ein großes, helles Zimmer mit hoher Decke, einem Flachbildschirm und rosa Ledersofas. Eine große Flasche Fresca stand auf einem Beistelltisch. Musik lief. Jack Jones, der einem Mädchen riet, sich die Haare zu kämmen und ihr Make-up aufzufrischen.
»Er wollte Zigaretten holen«, sagte Kelly Vander.
»Kein Problem. Ich kann draußen warten.«
»Was für alte Freunde?«
»Travis Huck zum Beispiel.«
»Travis«, sagte sie.
»Kennen Sie ihn?«
»Wieso auch nicht? Er arbeitet für meinen Exmann.«
»Haben Sie und Mr. Vander regelmäßig Kontakt?«
»Wir reden miteinander.«
»Haben Sie unlängst mit ihm gesprochen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Hat das hier etwas mit Simon zu tun?«
»Hat Larry Travis zu dem Job bei Simon verholfen?«, fragte ich.
Sie inhalierte Rauch. »Ich spreche nicht für Larry. Und auch für niemand anders. Geben Sie mir Ihre Nummer. Ich reiche sie weiter.«
»Ich warte lieber.«
»Wie Sie wollen.« Die Tür bewegte sich ein paar Zentimeter nach innen.
Ich sagte: »Man hat seit zwei Wochen nichts mehr von Simon gehört. Das Gleiche gilt für Nadine und Kelvin.«
»Die sind wahrscheinlich unterwegs. Das machen sie öfter.«
»Vor zwei Wochen sind sie von Asien aus nach San Francisco geflogen. Haben Sie irgendeine Ahnung, wo sie sich aufhalten könnten?«
»Das weiß ich doch nicht. Und überhaupt: Was hat das mit Larry zu tun?«
»Haben Sie nichts über Travis gehört?«
»Was soll ich gehört haben?«
Ich erzählte es ihr.
»Das ist verrückt.«
»Was?«
»Dass Travis so was getan haben soll. Er liebt uns.«
»Die ganze Familie?«
»So gut wie«, sagte sie. »Die Sache mit diesen Frauen ist ein Jammer, einfach furchtbar. Richtig schrecklich. Herrgott.« Sie zupfte am Halsausschnitt ihres Tops. »Ich bin mir sicher, dass mit ihnen alles in Ordnung ist - mit Simon und Kelvin. Und mit Nadine. Er ist ein bezaubernder Junge, dieser Kelvin. Spielt Klavier wie Elton John. Er nennt mich Tante Kelly.«
»Sehen Sie sie oft?«
»Nein. Nicht oft.«
»Was meinen Sie mit ›so gut wie‹?«
»Wie bitte?«
»Sie haben gesagt, Travis liebt ›so gut wie‹ jeden in der Familie.«
»Er liebt jeden .« Ihre Zigarette zitterte. Asche fiel auf ihre Brust. Sie wischte sie weg, hinterließ schwarze Streifen auf dem weißen Jersey. »Könnten Sie mir einen Gefallen tun und einen Blick aufs Etikett werfen? Wie heiß kann ich das waschen?«
Sie schob den Daumen hinten unter den Halsausschnitt, zog ihn nach außen und beugte sich vornüber. Das Top klaffte so weit auf, dass ich einen kurzen Einblick auf den flachen Busen und die faltige Haut über dem Brustbein bekam.
»Nur reinigen«, sagte ich.
»Dachte ich mir.«
»Travis liebt also alle«, hakte ich nach.
»Wen sollte er nicht lieben?« Sie entblößte braune, faulige Zähne. Die Zigarette glitt ihr aus den Fingern und landete auf ihrem linken
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