Knochensplitter - Ein Alex-Delaware-Roman
das, was ihr als Hochrisikofaktor für abweichendes Verhalten bezeichnet.«
»Wie bezeichnest du es?«
»Als Anhaltspunkt.«
12
Die Pressekonferenz kam in den Spätnachrichten um dreiundzwanzig Uhr.
Milo stand hölzern daneben, als Vizepolizeichef Weinberg mit den Kameras flirtete, während er mit stählernem Blick um die Unterstützung der Öffentlichkeit bat.
Die Fakten, die der Öffentlichkeit geboten wurden, waren dünn: Selena Bass und drei noch nicht identifizierte Leichen seien in der Bird Marsh gefunden worden. Kein Wort über die amputierten Hände. Alle vier Sender rundeten den fünfzehn Sekunden langen Aufruf an die Allgemeinheit mit einer Wiederholung des Berichts über die progressiven Milliardäre und deren Versuch ab, die Marsch zu kaufen, gefolgt von Archivmaterial mit Graureihern, Silberreihern und Enten.
Milo wusste, was jetzt passieren würde, und pfiff deshalb Moe Reed von der Fahrt nach San Diego zurück. Die beiden teilten sich den Telefondienst. Bis ein Uhr früh waren dreiundsechzig Hinweise eingegangen. Die nächste halbe Stunde
brachte fünf weitere. Um drei Uhr morgens waren alle Anrufe bis auf einen, bei dem Sheralyn Dawkins’ »Macker« namentlich genannt wurde, als wertlos eingestuft worden.
Reeds Bitte um eine Observation von Travis Huck war an die Pacific Patrol weitergeleitet worden. Bislang keine Antwort. »Ich glaube, wir sollten mit diesem Duchesne anfangen«, schlug Reed vor.
»Ein Zuhälter am Morgen«, sagte Milo. »Dafür lohnt sich das Aufwachen doch.«
Joe Otto Duchesne lehnte die Berufsbezeichnung ab.
»Betrachten Sie mich als eine Art Personalchef.«
Den Akten zufolge war Duchesne im März dreiundvierzig geworden. Ausgemergelt, wie er war, mit grauer Haut, weißen Haaren und Zahnlücken, wirkte er alt genug, um sein eigener Vater sein zu können. Die Sitte teilte mit, dass er vier, fünf Frauen am Straßenstrich beim LAX anschaffen lasse und eine hohe Fluktuationsrate habe.
Duchesne saß lässig auf dem Vernehmungsstuhl. Er war erstaunlich redegewandt und erstaunlich schäbig gekleidet. Seine Akte war ein trister Abgesang auf eine zwanzigjährige Heroinabhängigkeit, auch wenn er behauptete, »seit sieben Monaten völlig abstinent« zu sein. Trotz des heißen Morgens waren seine Hemdsärmel zugeknöpft.
Er war aus freien Stücken gekommen, und Milo ließ ihm jede Menge Platz, schob den Tisch in eine Ecke und ging die ganze Sache sehr zurückhaltend an. Moe Reed und ich sahen uns das Ganze von einem Nebenzimmer aus über Video an. Der junge Detective verfolgte jedes Wort wie ein bezahlter Teilnehmer an einem Seminar zur Geldvermehrung. Immerhin war er es gewesen, der Duchesne in sechsstündiger Laufarbeit ausfindig gemacht hatte - durch das Befragen der Streife vor Ort, der Nutten, die im Umkreis des Flughafens
anschaffen gingen, sowie anderer kleiner Zuhälter, die sich in der Nähe der Stundenhotels herumtrieben.
Eine der Frauen erinnerte sich an Sheralyn Dawkins und bestätigte, dass die Vermisste für den »dürren weißen Jungen angeschafft hat, diesen Joe Otto, den finden Sie an der Centinela Avenue«.
Reed zeigte ihr ein Polizeifoto aus San Diego.
»Yeah, Sheri die Hinkende«, sagte sie. »War gut fürs Geschäft.«
»Das Hinken?«
»Es gibt Typen, die stehn auf so was«, erklärte die Nutte. »Vielleicht sollte ich mir auch einen Gehfehler zulegen.«
Duchesne war ganz offen, was seine »neue Geschäftsplanung« anging.
»In letzter Zeit hab ich die Craigslist benutzt, um Termine zu vereinbaren.«
Milo hakte nach: »Wenn Sie so geschäftstüchtig sind, heben Sie doch bestimmt alle E-Mail-Adressen und Telefonnummern auf?«
Duchesne zeigte seine spitzen Eckzähne und die schwarzen Lücken. »Wie schon gesagt, in letzter Zeit schon - aber erst seit ein paar Wochen.«
»Wie besetzen Sie frei gewordene Stellen?«
Zögern. »Ich fülle sie auf die altmodische Art auf.«
»Gehsteigparaden«, sagte Milo.
Duchesne befingerte ein leeres Zahnfach. »Ich bezeichne es lieber als Echtzeitmarketing.« Neben seinen Festnahmen wegen Drogenabhängigkeit war er fünfmal wegen Zuhälterei aufgegriffen worden und betrachtete einen Gefängnisaufenthalt als »Betriebskosten«.
»Die Freuden des Geschäftslebens«, sagte Milo.
»Ich habe Betriebswirtschaft studiert, Lieutenant. University
of Utah. Vor einundzwanzig Jahren habe ich meinen Abschluss gemacht und bei IBM gearbeitet. Das ist die Wahrheit. Lassen Sie’s sich von denen
Weitere Kostenlose Bücher