Knochensplitter - Ein Alex-Delaware-Roman
Ölschlamm trieb. Die Frau hatte extrasüße, extraknusprige Schlegel und Flügel bestellt, eine doppelte Portion Zimtwaffeln und einen Jumbobecher Orangenlimonade. Sie hatte einen Teller Hühnchen verdrückt, um einen weiteren gebeten
und den Großteil des Gebäcks vertilgt, bevor sie »mal für kleine Mädchen« musste.
Sie hieß Sondra Cindy Jackson und nannte sich Sin. Eine dreiundzwanzigjährige Schwarze mit hübschem Gesicht, einem verletzten Blick und langen, blauen Fingernägeln, die teilweise mit Strasssteinen besetzt waren. Sondra Cindy Jacksons Zähne waren gerade, aber der linke Schneidezahn hatte eine Goldkrone. Eine komplexe Cornrowfrisur stellte die Stringtheorie auf eine harte Probe.
Sie war die achtzehnte Prostituierte, mit der Moe Reed im Laufe seiner zweitägigen Erkundungsaktion in der heißen Zone am Flughafen geredet hatte, und die erste, die davon überzeugt war, die unbekannte Tote Nummer drei zu kennen.
Eine Figur wie eine Tänzerin, aber mit einem erstaunlichen Appetit gesegnet. Bislang hatte sie nur geflirtet, sich den Schlund vollgestopft und die reine Unschuld gemimt.
Reed war hibbelig. Milo hingegen strahlte eine eigenartige, geradezu buddhistische Ruhe aus.
Er hatte sich in den gleichen achtundvierzig Stunden mit einem fortwährenden Strom nutzloser Hinweise befasst, hatte nichts Neues über Big Laura Chenoweth erfahren und konnte auch Sheralyn Dawkins’ Angehörige nirgendwo ausfindig machen - weder in San Diego noch im Orange oder im L.A. County. Ein derartiger Spaß zehrt oft an seiner Geduld, aber manchmal ist es auch umgekehrt.
Reed blickte zum Damenklo. Sin konnte nicht abhauen, ohne an unserer Nische vorbeizukommen.
»Wenn sie rauskommt, mach ich ihr Druck.«
»Klar«, sagte Milo. »Aber Sie können es auch noch ein bisschen länger hinziehen.«
Der junge Detective war von Schlips und Sakko auf ein graues Polohemd mit einem breiten roten Streifen in der
Mitte, frische Bluejeans und schneeweiße Nikes umgestiegen. Seine Augen waren klar, das rötliche Gesicht auf Hochglanz rasiert. Das Hemd spannte sich über die mächtigen Schultern und die wie Rinderhälften wirkende Brustmuskulatur.
Er wollte unauffällig wirken, hätte aber ebenso gut seine Uniform tragen können.
Sondra Cindy Jackson hatte sofort erkannt, was er war. Sechzig Dollar und eine Einladung zum Essen hatten sie trotzdem in seinen Camaro gelockt.
»Sehen Sie zu, dass Sie die Spesenrechnung einreichen«, sagte Milo.
»Irgendwann«, sagte Reed.
»Da bin ich wieder!«, verkündete sie fröhlich.
Sins rosa Samt-BH und die Hotpants aus weißer Spitze brachten ihre Hautfarbe zur Geltung. Sie war ein schlankes Mädchen, von den auf Comicmaße vergrößerten Brüsten einmal abgesehen. Irgendwie hatte sie das Geld dazu aufgetrieben.
»Schön, dass Sie wieder da sind«, sagte Milo. »Bon appétit.«
Sie zeigte ihm ihr Goldlächeln, rutschte in die Nische und machte sich über den zweiten Teller Hühnerteile her.
Vier Happen später sagte sie: »Ihr seid so ruhig.«
»Wir warten auf Sie«, sagte Reed.
»Und was wollen Sie von mir?« Sie klimperte mit den Wimpern.
Reed zwinkerte.
»Dass Sie anfangen«, sagte Milo.
»Wegen … oh, yeah, Mantooth.«
»Mantooth?«, fragte Reed sofort.
»So heißt sie, Detective Reed.«
»Mantooth.«
»Jo.«
Reed schlug seinen Block auf. »Ist das ein Vorname?«
»Nachname«, erklärte Sin. »Dolores Mantooth, aber wir haben sie bloß Mantooth genannt, weil es zu ihr gepasst hat.« Klimper klimper.
Reed starrte sie an.
»Zahn. Kauen. Wie in dem Song?«, sagte Sin. »We chewin’ on it … Was denn? Hört ihr euch keinen Blues an?«
»Der muss mir entgangen sein«, sagte Milo.
»›We chewin’ on it all day long.‹«
»Bonnie Raitt«, warf ich ein.
»Yeah.« Sin nickte.«Ein richtig schöner schmutziger Song. Das war Mantooth. Sie hatte ein Mundwerk.«
Reed sah sie an. »Ein Mundwerk wie in …«
»Hä?«, fragte Sin.
»Wer war ihr Zuhälter?«, erkundigte sich Milo.
»Jerome.«
»Jerome wie?«
»Jerome Jerome«, sagte Sin. »Ich veräppel euch nicht, ehrlich. Er hat den gleichen Vor- und Nachnamen. Ich behaupte ja nicht, dass ihn seine Momma so genannt hat, aber so wurde er genannt. Jerome Jerome. Erkundigen Sie sich nicht nach ihm. Er ist tot.«
»Und woran ist er gestorben?«
»Überdosis.« Sie nahm sich einen Flügel, hielt ihn geziert zwischen zwei Fingern und nagte ihn dann gierig bis auf den Knochen ab.
»Wann?«, fragte Reed.
Achselzucken.
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