Knochenzeichen
anzutreffen. Irgendwie hatte sie ihn nicht als soziales Wesen eingestuft.
Er ragte aus einer Gruppe von Männern heraus, die sich um den Billardtisch versammelt hatte. Obwohl sie alle Jeans und T-Shirts trugen, fiel das Auge jedes neuen Betrachters unweigerlich auf ihn. Es war diese erworbene Härte, die ihn schon rein äußerlich herausstechen ließ. Die Tatsache, dass seine Kanten von Erfahrungen, an die andere nicht einmal zu denken wagten, rasiermesserscharf abgeschliffen worden waren.
Als ihr Blick an ihm hängen zu bleiben drohte, wandte sie sich entschlossen ab. Im Gegensatz zu ihrer winzigen Kriminaltechnikerin war sie durchaus wählerisch in Bezug auf Männer, obwohl sie sich das erst auf die harte Tour hatte aneignen müssen. Mittlerweile traf sie sich nur noch dann mit einem Mann, wenn dieser sie nicht als Spiegel betrachtete, als jemanden, der lediglich seinen Geschmack, seine Position und seinen gesellschaftlichen Status reflektierte. Und obwohl Sharper ihr nicht wie einer dieser Männer erschien, war er auch keiner von der ungefährlichen, kultivierten Sorte wie diejenigen, mit denen sie gelegentlich ausging.
Er hatte etwas mehr als nur Ungezähmtes an sich, ganz wie die Wildnis, in der er so zu Hause zu sein schien. Etwas Unberechenbares und nicht ganz Zivilisiertes. Er war der Typ Mann, der bei einer Frau den Selbstschutzinstinkt in geballter Form aufflackern ließ, obwohl er gleichzeitig ein Interesse von ganz anderer Art weckte.
Cait verfügte durchaus über einen gesunden Selbstschutzinstinkt. Sie mochte ja nur langsam lernen, doch sie hatte entdeckt, dass das Spiel mit dem Feuer zwangsläufig mindestens zu einer Brandwunde führte.
Und Sharper war definitiv brandgefährlich.
Sie ließ die Speisekarte einen Moment lang sinken und sah sich nachdenklich im Lokal um. Selbst wenn der Täter ein Einheimischer war, hieß das nicht, dass er in McKenzie Bridge leben musste. Er konnte auch aus Rainbow oder Blue River sein. Ebenso gut konnte er, so sinnierte sie fatalistisch, aber auch aus jedem der kleinen Orte am Highway 126 stammen.
Auf jeden Fall führte alles immer wieder zum selben Punkt: welche Mühe er sich beim Verstecken der Knochen gemacht hatte. Sharper hatte genau ins Schwarze getroffen. Warum einen solchen Aufwand betreiben, wenn man nicht in der unmittelbaren Umgebung lebte?
Der Täter musste naturverbunden sein. Und ziemlich sportlich. Die Skelette hatten ein Gewicht zwischen acht und elf Kilo. Zwar keine besonders schwere Last, aber doch sperrig, vor allem wenn man nachts den Castle Rock hinaufkletterte. Ihr Blick wanderte langsam durchs Lokal. Die Beschreibung würde zu den meisten Männern hier passen. Auf die Truppe am Billardtisch allemal.
Und auf Sharper selbst auch.
Ein Schauer lief über Caits Rücken. Sie wusste mehr über den Mann als über alle anderen aus der Gegend, Sheriff und Deputy, mit denen sie zusammenarbeitete, eingeschlossen. Sie wusste, dass er mit dem Gelände vertraut war. Dass er die Höhle schon gekannt hatte, ehe die Leichen entdeckt worden waren. Und dass er sauren Boden und heiße Quellen auf seinem Grundstück hatte.
Und dass er höchstwahrscheinlich das Können besaß, einem Menschen das Genick zu brechen, dank seiner Zeit bei den Rangers.
Sie versuchte – wenn auch vergeblich –, ihn sich stundenlang über eine Werkbank gebeugt vorzustellen, wie er geduldig winzige Bilder auf ein menschliches Schulterblatt zeichnete. Nicht dass sie ihn sich nicht als Künstler vorstellen konnte, dachte sie finster, auch wenn es schwierig war. Aber sie traute ihm einfach nicht die nötige Geduld für solche Detailfreude zu. In der Zeit, die sie mit ihm verbracht hatte, hatte sie nur wenig Hinweise auf diese spezielle Eigenschaft ausmachen können.
Sie sah sich weiter im Raum um. Die zwei Männer, die in der Ecke Darts spielten, würden passen. Genau wie drei der Männer, die ihr nach wie vor von der Ecke des Bartresens aus verstohlene Blicke zuwarfen. Der Umfang des einen von ihnen schloss ihn allerdings aus dem Kreis der möglichen Verdächtigen aus.
Die Bedienung war schlank. Trotzdem keine wahrscheinliche Kandidatin. Den gelegentlichen Blicken nach zu urteilen, die sie dem Barkeeper zuwarf, besaß sie allerdings die innere Kraft, jemanden schwer zu verletzen, wenn nicht zu töten.
»Haben Sie sich schon entschieden?«
Cait blickte sich um und stellte fest, dass der Barkeeper sie angesprochen hatte, während er auf dem Tresen lümmelte. Und begriff
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