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KNOI (German Edition)

KNOI (German Edition)

Titel: KNOI (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schalko
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Lutz’schen Realität war kein Platz für Zazuuuze, Knois, Fahas, Wackse und Zonze. Auch nicht für fauchende Luchse, zischende Schlangen, bellende Hunde, verletzte Vögel, schlüpfende Küken oder sprachlose Fische. Für Lutz war die Natur etwas, wogegen man sich ständig zur Wehr setzen musste. Haare, Bakterien, Schmerzen, Unzulänglichkeiten, Chaos. Lutz wollte der Natur keinen Einlass gewähren, schon gar nicht in Form eines Trojanischen Pferdes. Und Max war ein Trojanisches Pferd, so wie Jakob ein Trojanisches Pferd war. Glaubte Rita ernsthaft, Lutz wäre Knoi genug, um sich auf diese Fahaspielchen einzulassen? Lutz hatte Jakob die ganze obere rechte Reihe gemacht. Vier Termine für den Rest, hatte er gesagt, und der Knoi hatte es geschluckt. Schließlich war er seit Jahren nicht beim Zahnarzt gewesen. Lutz hatte ihn betäubt, ausgehöhlt und wieder zusammenplombiert. Er hatte nie verstanden, was Rita mit diesem Knoi anzufangen wusste. Letztendlich war sein Charakter ein Krankheitsbild. Er solle sich seine Schilddrüsenwerte mal ansehen lassen, hatte Lutz zu ihm gesagt, was Jakob leider nicht als die gedachte Beleidigung auffasste, was vermutlich an seiner mangelnden medizinischen Bildung lag. Bei Jakob war nichts zu viel, immer von allem zu wenig. Er war eine Defiziterscheinung, während Lutz eine Überschusserscheinung war.
    Das Lidocain entsprach Jakobs Aggregatzustand, und Lutz bohrte ihm das halbe Gebiss aus dem Kiefer. Eine Frau wie Rita musste man sich erst leisten können, und Jakob sollte ruhig dazu beitragen. Lutz hatte sich über die Jahre ein Penthaus, ein Wochenendhaus und zwei Autos erbohrt. Sein Leben lang hatte er das Gefühl, für alles bezahlen zu müssen. Die Dinge waren nur von Wert, wenn sie jeden etwas kosteten. Lutz brauchte Zazuuuz. Er drang in Rita ein, wenn sie schlief. Zazuuuz. Sybille. Zazuuuz. Lidocain. Zazuuuz. Jakob aufbohren. Zazuuuz. Der Vereisungsspray. Zazuuuz.
    Lutz erzählte der Doktorin nichts von dem Spray. Sein halbes Leben war ein unsichtbarer Subkontinent, von dem keiner etwas ahnte. Er war beherrschter als andere. Immer auf der Hut. Rechnete stets mit allen Eventualitäten. Er wäre ein guter Mörder gewesen. Natürlich hätte es ihn gereizt, Doktor Haselbrunner von seinem Traum zu erzählen. Ihre Ratlosigkeit, ihre Irritation, ihre Erregung. Ihre verächtlich gehobenen Augenbrauen. Tausendmal hatte er sie in seinem Traum in den Schlaf gesprayt. Jede Nacht war sie vor ihm gelegen. Konserviert und betäubt. Er berührte ihr blasses Gesicht, küsste ihr narkotisiertes Fleisch, roch an ihren schlaffen Lippen. Zog die Lider hoch, um den stechend traumlosen Blick zu erwidern. Er ging durch die U-Bahn. Er spazierte durch die Straßen. Er saß in Kinos. Er ging von Auto zu Auto. Er arrangierte die Nacht. Er war ein Künstler. Als Toter würde er genauso durch das Leben der anderen gehen. Lutz starrte auf die Knie von Doktor Haselbrunner. Er legte sie am Ufer ab. Der Teich im Park. Morgengrauen. Tau. Er hatte immer schon hingreifen müssen.
    Er hatte ihr den Traum nicht erzählt. Selbst als sie in ihrem Bett lagen, hatte er ihr zwar von der Existenz des Traums erzählt, aber nicht den Traum selbst. Sie sagte, es sei noch schlimmer, etwas von der bloßen Existenz von Dingen zu wissen, als die Dinge selbst. Das sei, als würde ein Unheil vor der Tür warten. Sie hingegen hatte ihm von ihrem Vater erzählt, der sie immer so angesehen hatte, wie man ein Kind nicht ansieht, der zwar nie hingriff, außer mit seinem Blick, mit dem man aber genauso wenig hingreifen durfte wie mit der Hand oder dem Mund oder dem Schwanz. Jetzt hatte der Krebs den Vater aufgefressen, und sie war froh, dass von dem Vater nichts übriggeblieben war. Keinen Brösel hatte der Krebs übriggelassen. Schön brav hatte er den ganzen Vater aufgefressen. Sie frage sich ständig, woran die Leute sterben würden, selten, was man mit ihnen erleben könne. Sex sei für sie kein Mittel, um Zazuuuz zu überwinden, im Gegenteil, es sei ein Schuhlöffel, um den anderen zum Reden zu bringen, sagte Lutz, der noch nie mit jemandem im Bett war, dem man alles erzählen musste. Er hatte sie gebeten, sich schlafend zu stellen. Er hatte ihr erzählt, dass er diese Distanz benötige, dass er aber in diesem Erzählen einen Überschuss Nähe produziere, worauf sie sagte, dass man Nähe nicht produziere, sondern Distanz abbaue und dass da ein wesentlicher Unterschied bestehe. Aus einem Zazuuuz würde ein Zazuuz, ein Zazuz und

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