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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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den Schädel trifft, zufälligerweise eine verglaste Luke ist. Stauchung eines vier Zentimeter dicken Rückenwirbels auf einen Zentimeter. Rollstuhl. Rehabilitation, monatelang. Starke Schmerzmittel: Tramadol, Oxycodon, Heroin. Entzug mit Methadon. Anstellung in einer Notschlafstelle. In der Freizeit Backgammon. Steht wieder auf, bewegt sich kaum. Bleibt seiner Stadt ein Leben lang verbunden. Zieht nie weg, unternimmt kaum Reisen. In seiner Stadt bekannt wie ein bunter Hund. Am Ende des Lebens Bekehrung zum Christentum. Besuch einer postmodernen Pfingstgemeinde. Tod an einem Dezembertag in der Badewanne seiner Wohnung durch absichtliche Überdosis Heroin. Nie verheiratet, keine Kinder, keine Schulden. Ordentliches Testament. Die Asche verstreut im See, an einem kalten Märztag, vier Monate nach seinem Tod.
    Zu Beginn schien er es besser getroffen zu haben. Sein Vater, bei dem er aufwuchs, war Angestellter, mit einer festen Arbeit und einem geregelten Einkommen. Er und seine Halbgeschwister lebten in einem Haus mit dichten Fenstern. Dort gab es in den kalten Monaten keinen Atem, der vor dem Mund anschlug. Er stank nicht wie ich nach Heizöl. Bei ihnen gab es keinen ewig durstigen Ofen, den man selber füllen musste, mit einer Kanne, die man über vier Treppen in den Keller trug, wo in einer Kammer ein Tank stand, ein Tank mit einer Pumpe, deren Schwengel fehlte und durch einen abgebrochenen Schraubenzieher ersetzt worden war. Für eine volle Kanne musste er von der einen äußersten Position vierzigmal in die andere äußerste Position gedrückt werden, was dadurch erschwert wurde, dass man dabei nur knien konnte, auf dem schmalen Betonsims der offenen Stahltür, die man nach der Anstrengung wieder verschloss. Die Kanne trug man die vier Treppen hinauf zum Ofen, den man nur in kleinen Schlucken füllen durfte und der trotz jeder Vorsicht immer überlief. Mit Toilettenpapier hatte man das Öl aus der Armatur mit den Reglern zu tupfen, Armaturen, die weiter keine Funktion besaßen. Denn falls man den Ofen mit einem Wattebausch angebracht hatte, was selten beim ersten, oft beim fünften und sechsten Versuch gelang, ließ sich die Betriebstemperatur kaum regulieren. Entweder mottete der Ofen vor sich hin, oder er brannte wie ein Höllenfeuer, heizte das Zimmer auf dreißig Grad und verbrannte in einer knappen Stunde den ganzen Tank. Im Zimmer aber wurde es wieder kalt.
    Das Haus war dunkel und unheimlich. Ich mied die Lauben und die unbenutzte Küche, den Dachboden und den Anbau. In den Dielen gab es stinkende Löcher, und auf dem Dachboden ein nie vollständig stillgelegtes Plumpsklo. Erträglich war es nur im Garten. Dort gab es Hühner und Kaninchen, und bis sie vom Nachbarn geschlachtet und am Schuppen aufgehängt und ausgeweidet wurden, sorgten sie für Ablenkung. Dieser Nachbar, ein Trinker, nahm die Pistole, hielt sie den Kaninchen zwischen die Ohren und drückte ab. Sie zuckten noch ein paar Mal, und ein roter Faden lief ihnen aus der Nase, bevor er sie an den Läufen am Schuppen kopfüber aufhängte. Mit zwei, drei geschickten Schnitten brach er die Tiere auf, griff in ihre Bauchhöhle und beweinte sein Schicksal, zum Kaninchentöter des Viertels geworden zu sein. Alle wollten das Fleisch essen, keiner wollte die Tiere töten, das war seine Klage, wenn er die Galle aus der Bauchhöhle schnitt, vorsichtig, damit sie ganz blieb und das Fleisch nicht vergiftete.
    Hinter dem Schuppen lag der Autofriedhof mit den Unfallwagen, Objekte des Schreckens, nicht ohne Schönheit. Zerborstenes Glas schmückte die blutverschmierten Sitze wie Juwelen. Dort trieben wir uns herum an jenen seltenen Sonntagen, die der Bruder bei uns verbrachte. Wenn alle noch schliefen, tauchte er auf. Er kam mit guter Laune, obwohl wir nie recht wussten, was wir mit ihm anfangen sollten. Für uns war er ein schlechter Spielkamerad. Er hatte seine Launen und hasste es, zu verlieren. Er war auf der Hut, dass man ihn nicht betrog. Er tauchte nicht ein in unsere Welten, Haifische in unterirdischen Reichen und sprechende Esel sagten ihm nichts. Er machte sich lustig über Repräsentationen. Bücher waren Bücher und nicht Brote, wie wir beim Spielbacken oder Backspiel annahmen. Seine Vorstellungen waren konkreter. Eine davon war der Besuch des Verkehrsmuseums. Wir taten es nie. Wir fuhren herum in einem VW Passat, an einem Tag über sieben Pässe und durch drei Länder. Oder wir frühstückten an irgendeiner Autobahn auf den Betontischen der

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