Koala: Roman (German Edition)
Seil an der Weste zogen sie ihn ans Ufer, wie eine verlorene Fracht hievten sie ihn an Land.
Drei Hexen waren es, die dem Patschnassen Weste und Augenbinde abnahmen, ihm eine Decke über die Schultern legten und die Brille wieder auf die Nase setzten. Er stand zwischen hohen Tannen, von irgendwo drang ein Schimmer, er wusste nicht, woher.
Sie gaben ihm einen Brei zu essen, einen ekligen Schleim, den er nicht runterbrachte, was bei einer der drei Hexen Mitleid zu erregen schien, jedenfalls reichte sie ihm lächelnd einen Becher. Er trank, es war Essig, er spuckte, würgte, sie lachten ihn aus und ließen ihn stehen, tanzten zu der Flöte und der Trommel, zu den Tönen, die aus der Nacht über ihm zu fallen schienen, drei wilde Geister, die über den Waldboden wirbelten und plötzlich in seinem Rücken verschwanden.
Er drehte sich um und sah noch, wie sie in eine Tanne stiegen.
Jetzt wusste er, was er zu tun hatte.
Ast um Ast nahm er, stieg höher und höher, hinauf, woher das Licht kam. Da saßen sie, der ganze Stamm, zu zweit, zu dritt auf einem Ast, dreißig schmutzige Vögel, Kerzen in ihren offenen Händen erhellten pausbäckige Gesichter, sie grinsten ihn an, Flaum um manches Kinn, dreißig kleine Scheißer wie er selbst.
Keiner von ihnen hatte in den vergangenen zehn Tagen ein Stück Seife gesehen oder die Unterhose gewechselt. Sie aßen geröstete Haferflocken, Fleischkonserven und Aprikosen aus der Dose, sie setzten sich auf einen Balken und kackten in die Grube, die sie in den Waldboden gegraben hatten. Sie legten sich mit den Fliegen und Mücken in ihren Zelten schlafen, in der muffigen Luft feuchter Socken und schlammverkrusteter Hosen. Kinder noch, mit absonderlichen Ritualen und einer unerbittlichen Hackordnung. Jene, die keine Protektion genossen, wurden mit Pflöcken auf den Waldboden gespannt, ausgebreitet wie Leonardos vitruvianischer Mensch, den Launen der Fähnriche und der Ameisen überlassen. Bis in die Dämmerung trieben sie sich im Gelände herum, interessierten sich fürs Wichsen und die Knochen, die sie im Schlick fanden, in der Schlucht, auf einer Erkundung des Flussbettes, und die manche für menschliche hielten. Sie interessierten sich für die im First des Hauptzeltes eingehängten Kavalleriesäbel, gekreuzt und blankgezogen, an deren Schneide sich einer die Stirn aufschlitzte. Der Mull, mit dem man das Blut stillte, ergab mit den Knochen aus der Schlucht ein hübsches Paket, das man einer lästigen Verehrerin mit der Aufforderung sandte, den Tod des Geliebten anzuerkennen und einzusehen, dass weitere Liebesbezeugungen sinnlos seien. Für Mädchen und zarte Gefühle hatte man keinen Sinn. Man ergötzte sich lieber an den frisch gefetteten Klappspaten, die sie wie das restliche Gerät in den Zeughäusern der Armee beschafften. Sie erörterten keine Fragen des Gemüts, sondern die Art und Weise, wie ein doppelter Palstek korrekt geknüpft wurde und wie viele Drehungen ein ordentlicher Henkerknoten mindestens aufweisen musste – es waren nach allgemeiner Auffassung acht. Sie interessierten sich für jede Art der Fesselung, besonders für jene ohne Seil und Strick, bei der man die Beine so um den Stamm einer jungen Tanne knotete, dass der Unglückliche im Schneidersitz seinen Baum umschlang wie ein Kind, das sich vor dem unbekannten Besuch fürchtet, das Bein der Mutter. Morsen war eine weitere Leidenschaft, sowohl das gewöhnliche mit Taschenlampen, Hohlspiegeln oder Flaggen, mit deren Hilfe man Botschaften ohne wesentlichen Inhalt von einem Hügel zum anderen übermittelte – beim anderen Morsen hingegen, auf der Brust eines kleinen Scheißers, der es gewagt hatte, die Aufmerksamkeit eines großen Scheißers zu erregen, waren die Nachrichten, mit denen man die Rippen des Unbelehrbaren traktierte, von Bedeutung: Punkt, Punkt, Strich, Punkt, Strich, Punkt, Punkt – Ich soll das Schanzwerkzeug nicht ungeputzt zurück in die Kiste legen. Mit Fresspaketen geht man zuerst zu den Fähnrichen. Die Äquidistanz zwischen zwei Höhenkurven beträgt auf einer Landkarte im Maßstab eins zu fünfundzwanzigtausend zehn, nicht fünfzehn Meter.
In diese Gesichter schaute er nun und wartete, dass man ihm seinen Namen nannte, den Namen, mit dem er von nun an gerufen werden und der ihm seine andere, geheime Persönlichkeit enthüllen würde, sein wahres Wesen, verborgen vor der Gesellschaft, hier aber lebendig und sichtbar. Er war bereit, seinem Signum zu begegnen, seinem Totem, das ihn behüten
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