Koala: Roman (German Edition)
nicht der Name schlecht gewählt, vielleicht wurde das Tier falsch dargestellt, vielleicht war es nicht das putzige, harmlose Kerlchen. Vielleicht gab es gute Gründe, es zur Harmlosigkeit zu entstellen. Vielleicht hatte es Seiten, die eine Gefahr darstellten und die man verstecken wollte, und vielleicht hatten jene Kinder, damals, ein Wissen besessen, das es zu ergründen galt.
Wann sie kamen, war ungewiss, aber sie kamen nach Mitternacht. Er hörte Stimmen, im nächsten Augenblick sah er Lichter am Innenzelt, und ehe er begriff, riss jemand den Reißverschluss hoch, zerrte ihn aus den Decken und zog ihn ins Freie.
Da standen sie in einem Halbkreis. Fackeln erhellten ihre von Ruß geschwärzten Gesichter, einige in Kapuzen, andere mit Masken, Schweine, Hexen, Dämonen. Er kannte sie, einen jeden von ihnen. Einer löste sich aus der Reihe, trat auf ihn zu, fesselte seine Hände mit einem Kälberstrick, nahm ihm die Brille ab und verband seine Augen.
Dann ging es los.
Er wusste, was jetzt kommen würde.
Jedenfalls glaubte er, dass er es wusste.
Sie trieben ihn aus dem Lager, zogen ihn eine Böschung hinauf, wo seine nackten Füße auf dem feuchten Gras ausrutschten. Er fiel mit dem Gesicht halb in den Dreck, halb auf seine Faust, die er zum Schutz hochgerissen hatte. Einen Moment blieb er liegen. Der Geruch von feuchter Erde, nicht unangenehm.
Komm, steh auf. Weinen wird nicht helfen. Du musst weiter.
Bald stand er auf einem abschüssigen Weg, über groben Kies und durch frische Kuhfladen ging es bergab in einen Wald hinein, dessen Finsternis er selbst durch die Augenbinde erkennen konnte. Er hatte alle Mühe, auf den Beinen zu bleiben, so rasend zogen sie ihn vorwärts. An Baumstrünken und losen Steinen schlug er sich die Knöchel blutig, er schrie, es war ihnen egal. Irgendwo hörte er, wie eine Trommel schlug und eine Flöte eine idiotische Melodie aus drei Tönen spielte – als wollte sie ihn verhöhnen. Immer wieder vernahm er Stimmen, kurze Zurufe, in denen er ihre eigene Angst erkannte. Sie fürchteten sich vor der Nacht. Vor dem, was sie taten. Sie hatten Angst vor sich selbst, und das war nichts, was ihn beruhigte.
Irgendwann spürte er feuchte Bohlen unter seinen Füßen und die Nähe von Wasser. Eine Schwelle – er trat ins Leere, taumelte, fing sich wieder, aber der Boden schwankte, und er fand nur schwer das Gleichgewicht. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und bedeutete ihm, dass er sich setzen solle. Nichts als ein nacktes Brett unter seinem Hintern – gute Fahrt, rief da noch einer, und dann wurde der Kahn hart hinaus aufs Wasser gestoßen. Augenblicklich umfing ihn Stille, es wurde kühler, er fröstelte. Sein Schweiß verdampfte in der Nacht, er zitterte und begriff: Er war alleine, alleine auf einem Boot, gefesselt und mit verbundenen Augen. Er wusste: Nach ein paar hundert Metern kam das Stauwehr. Und nach dem Stauwehr? Da kam nichts mehr.
Er musste eine Entscheidung treffen.
Versuchen, sich von den Stricken zu befreien und an Land schwimmen?
Ruhig sitzen bleiben und nicht aufbegehren?
War das die Prüfung?
Wie sollte er sich entscheiden?
Wer war er denn? Ein kleiner Scheißer in einem Bugs Bunny-Pyjama. Ein kleiner Scheißer mit einer dicken Brille. Ein kleiner Scheißer, dem gerade die ersten Haare am Sack wuchsen. Ein kleiner Scheißer aus einem kleinen Scheißkaff, wo es nichts gab außer Fabriken und Soldaten. Und so ein kleiner Scheißer wie er entscheidet sich nicht. Er macht sich die Hose nass. Und beginnt zu plärren, leise nur, damit die Nacht es nicht hört.
Er hatte gedacht, dass die Sache Spaß machen würde.
Wenigstens ein bisschen.
Und während er starr vor Kälte und Angst langsam auf das Wehr zutrieb und in die Finsternis lauschte, erklang mit einem Male die Flötenmelodie wieder, ganz nahe diesmal. Er hatte sich geirrt. Er war nicht alleine auf diesem Boot und fragte sich, ob ihn diese Erkenntnis erleichtern oder zusätzlich beunruhigen sollte – da geriet das Boot ins Schwanken, jemand packte ihn und löste seine Fesseln. Die Augen immer noch verbunden, machte man sich an seinen Armen zu schaffen, und es dauerte einen Moment, bis er begriff. Er sollte etwas anziehen. Etwas Klammes, Steifes. Eine Weste. Aber wozu?
Ein Stoß in den Rücken, er taumelte, fiel, die kalte Tiefe verschlang ihn. Er sank, ergeben, bis fast auf den Grund. Das Sirren der Kiesel in der Strömung. Er war zu erschrocken, um zu schwimmen, aber das war auch nicht nötig. Mit einem
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