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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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konnte, aber es funktionierte nicht. Bado, bado, verlangte er, und man brachte ihm Wasser, das er gierig und in großen Schlucken trank.
    Als man ihm Fisch brachte, drehte der Mann den Kopf weg mit einem Ausdruck des Ekels.
    Dann begann sein Sterben, und er starb, wie alle sterben sollten, der ganze Stamm der Eora, neun von zehn erlebten das Ende des Jahres nicht.
    Zuerst wurden die Glieder müde und der Appetit schwand. Der Kopf schmerzte, das Erbrochene war grasgrün, gallig. Ebenso der Kot. Eine entsetzliche Unruhe trat ein, die Kranken wurden apathisch und irr, manche sprachen leise vor sich hin.
    Dann zeigten sich unregelmäßige Pusteln, wie Hirsekörner bedeckten sie den ganzen Körper, bläulich, fast bleistiftfarben. Sie erhoben sich nur wenig, fielen wieder ein, bekamen Dellen und füllten sich manchmal mit wässrigem oder blutigem Schleim. Aasblattern erschienen, Brandblasen, die aufplatzten und den Kranken mit blutiger Jauche beschmutzten. Aus Mund und Nase floss Blut, der Harn war rot, die Zunge glich einem Kohlestück. Der Kranke verfaulte bei lebendigem Leibe. Dabei knirschte er ohne Unterlass mit den Zähnen und zerbiss die Gläser, in denen man ihm das Wasser reichte. Der Gestank war erbärmlich und blieb in den Zimmern sitzen. Man ertrug ihn nicht, selbst Ärzte übergaben sich. Die Finger und Zähne der Kranken wurden brandig wie Kohlstümpfe, als hätte man sie in der Glut verkohlt.
    Der Alte erlitt seine Krankheit mit großer Gelassenheit und war bis zu seinem Ende bei Sinnen. Man stützte ihn, damit er sein Kind noch einmal sehen konnte. Er streichelte es zärtlich, und mit sterbenden Augen übergab er das Kind der Fürsorge der Engländer. Er machte seinen letzten Atemzug ohne Stöhnen.
    Man fand die Toten jetzt häufiger, sie lagen am Strand, in den Höhlen und Gruben, man fand ihre Leichen, übersät von Pusteln, Geschwüren.
    Die Leichen lagen überall, sie verkrochen sich in jedes Loch, und bald gab es kein freies, wo sie ungestört sterben konnten. So legten sie sich zu den Toten, um zu sterben.
    Die Engländer öffneten einige Leichen. Alle waren an derselben Ursache gestorben. Pusteln auf dem ganzen Körper. Keiner verstand, weshalb eine Krankheit, von der sie bisher verschont geblieben waren, sich so schnell verbreiten konnte.
    Als ein Trupp Broken Bay besuchte, bemerkten sie, dass sich die Wirkung nicht auf Port Jackson beschränkte. Der Weg war von Leichen und Skeletten gepflastert.
    Keiner wusste, wie viele der Eingeborenen starben. Manche meinten, die Hälfte. Und weil jene, die noch gesund waren, ins Landesinnere flüchteten, brachten sie auch die Krankheit mit und verbreiteten sie.
    Die Eingeborenen hatten dafür einen Namen: Gal-Gal-la.
    Im Mai verloren sie Arabanoo. Er starb am Achtzehnten des Monats, nach sechs Tagen Qual.
    Bei den ersten Anzeichen hoffte man noch, es möge eine andere Krankheit sein. Aber danach brach die Krankheit mit aller Kraft aus.
    Vor seinem Tod brachten sie Arabanoo hinunter zum Strand. Er schaute ängstlich um sich.
    Er hob seine Hände und Augen gegen den Himmel und verharrte in stiller Agonie.
    »Alle tot! Alle tot!«, stieß er aus und ließ seinen Kopf hängen.
    Die Blue Mountains wurden zur Hölle, zum Ort, wo ein böser Geist lebte.
    Eine Hölle für die Menschen, ein Paradies für das Tier, das seine Freistätten verlassen konnte, nach hundertzwanzigtausend Jahren im Exil, seit die ersten Jäger die Küste erreicht hatten. Es gedieh, es vermehrte sich, niemand stellte ihm nach, die Epoche seiner größten Verbreitung begann, die kurzen Jahre, in denen ihm jeder Baum gehörte, jeder Wald, ein ganzer Kontinent.
    Vierzehn Jahre blieb das Tier noch unentdeckt von den Weißen, vierzehn Jahre, in denen die Kolonie sich dank dem Fleiß, dem Ehrgeiz und der Grausamkeit langsam entwickelte. Ein neuer Gouverneur löste den Alten ab, frische Soldaten trafen ein, alles fügte sich in den allgemeinen Gang der menschlichen Geschichte. Selbst Ralph Clark, der Sergeant, genas von seiner Krankheit, der Sehnsucht nach seiner Geliebten. Er nahm sich eine andere Frau, die Verdammte Mary Branham, die einem John Kennedy einige Weißwaren gestohlen hatte, zwei gefütterte Kleider, um genau zu sein, dazu ein paar Krücken, einige Laufmeter Stoff, eine Weste, eine Mütze, ein Paar Strümpfe, ein Paar Nanking-Hosen und dazu einen Mantel. Sie hatte die üblichen sieben Jahre gekriegt, und sie war da noch keine vierzehn Jahre alt gewesen. Als sie eine Tochter zur Welt

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