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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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sich ein kleiner Hebel, mit dem der Verschluss betätigt wurde, wofür eine kleine Bewegung des Daumens ausreichte. Das ermöglichte eine große Feuergeschwindigkeit, und weil die Bohrung etwas verengt war, die Mündung also einen kleineren Durchmesser als der Verschluss aufwies, konnte weiter und genauer als mit üblichen Schrotflinten geschossen werden. Was zur Hoffnung Anlass gab, Mr. Bracker werde seine begonnene Arbeit im Hinterland der menschlichen Zivilisation weiterverfolgen und dieser Beutelpest weiter auf den Pelz rücken.
    Tatsächlich gelangen Harry Bracker auf der legendären ›Warroo Battue‹ von 1877, die am zwanzigsten Februar begann und am zwölften April endete, nicht weniger als 808 Abschüsse. Damit lag er in der Rangliste der besten Jäger, die von Mr. J. Freestone mit 1175 Abschüssen angeführt wurde, allerdings nur auf Rang 7, auch wenn zu Mr. Brackers Verteidigung angeführt werden muss, dass er an sechs der vierzig Jagdtage nicht mit von der Partie war. Wie viele von den erbeuteten Tieren Koalas waren, wurde in den wöchentlichen Abschuss-Statistiken im ›Queenslander‹ nicht eigens aufgeführt. Entscheidend war nur die Gesamtzahl der erlegten Beutelsäuger, nämlich 16 942. Ebenfalls von einiger Relevanz war die Menge verschossenen Pulvers in Relation zu den erlegten Tieren – und hier erreichte Harry Bracker im Mai 1879 die sagenhafte Quote von 72,75 Tieren auf hundert Schuss Munition.
    Harry Bracker jagte für die Allgemeinheit und für seinen Ruhm, reich machte die Beute ihn nicht. Auf den Weltmärkten lag der Preis für ein Fell des Tieres zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts etwas unter jenem für Nerz und Biber, jedoch über jenem für Opossum.
    Ende des Jahrhunderts fanden die Jäger keine Beute mehr, in Queensland waren die Koalas ausgerottet, aber noch einmal wurden drei Jagdsaisons eröffnet, wovon eine für die Trapper besonders erfolgreich ausfiel, jene vom April 1919, als in fünf Monaten eine Million Häute auf den Markt von Sydney kamen.
    Was das Tier vor der gänzlichen Auslöschung retten sollte, war die Geburt eines Nationalgefühls. Die Ursprünge als Strafkolonie wurden langsam vergessen, ein neuer Staat sollte geboren werden. Jede Besonderheit wurde zur Auszeichnung, zur Unterscheidung vom Mutterland. Aber so, wie es war, konnte das Tier nicht bleiben, man brauchte ein anderes Bild von ihm, eine Verwandlung. Die modernen Menschen ertrugen seine Existenz so wenig wie die ersten Jäger, die aus ihm einen räuberischen Gesellen gemacht hatten, der im Bund mit den Göttern stand. Nun verlieh man ihm andere, zeitgemäßere Eigenschaften, machte das Tier zu einer drolligen Figur in einer Kindergeschichte, steckte es in karierte Hosen, band ihm eine Fliege um den Hals und setzte ihm einen Strohhut auf den Kopf. In der Hand einen Spazierstock, nahm das Tier menschliche Eigenschaften an, verspürte eine Lust, die Welt zu erkunden, Abenteuer zu erleben, ein Leben zu führen, Freundschaft zu schließen. So konnten die Menschen diesen Gesellen leben lassen, als eine Karikatur, die in ihren Augen das wahre Wesen des Tieres zeigte, so wie es gerne hätte sein mögen und von seiner wirklichen Existenz ablenkte, einem Dasein, das der Faulheit gewidmet war.
    Und Faulheit war, so lernte ich, nicht hinzunehmen. Wer auf ihr bestand, musste vernichtet werden. Sein Friede wurde ihm genommen und seine Garderobe, man zerlegte ihn und versilberte die Überreste. Nur in geringer Zahl, in Zoos und Naturreservaten, zu plüschigen Kuscheltieren entstellt in harmlosen Kinderbüchern, ertrug man die Kreaturen der Faulheit. Das Prinzip ihrer Existenz, die Ehrgeizlosigkeit, sollte sich nicht frei entwickeln dürfen, zu groß war die Gefahr und die Provokation.
    Was den Menschen ausmachte, war sein Ehrgeiz, das unausgesetzte Streben, die Unfähigkeit, stillzusitzen. Eine Folge der Angst, die mit ihm in die Welt gekommen war, er war die Angst, und die Angst war er, er hatte die Angst in die Welt gebracht, sie war seine Erfindung, sein Beitrag zur Naturgeschichte, und er ließ niemals nach in seinem Ehrgeiz, sie in die hinterste Ecke zu bringen. Das Wissen um die eigene unvermeidliche Vernichtung versetzte den Menschen in Schrecken, und er würde diesen Schrecken niemals beherrschen. Gott war tot, aber die Angst lebte weiter. Sie alleine regierte, vergiftete die Freundschaft, zermürbte die Liebe. Die Angst machte Geschäfte, die einen machte sie reich, die anderen stieß sie augenblicklich in den

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