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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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anderen Wiederkäuern mit ihren vier Mägen, einer Fabrik ähnelt. Je größer das Tier, umso günstiger das Verhältnis zwischen Aufwand, der bei der Verdauung des Futters anfällt, und dem Ertrag an verwertbarer Energie. Je kleiner das Tier, umso schlechter dieses Verhältnis, die Verluste werden irgendwann größer als die gewonnene Energie. Selbst Arten, die zwei- bis dreimal so groß wie Koalas sind, würden nicht in der Lage sein, genügend Energie aus faserhaltigem Material zu gewinnen. Eine mögliche Strategie wäre, die Aufnahme und die Verarbeitung zu maximieren, was die Verdauung von Zellwänden minimieren und die Aufnahme von wertvollen Bestandteilen erhöhen würde. Allerdings verhinderte die verminderte Darmkapazität bei kleineren Pflanzenfressern auch diese Strategie – Nahrungsfasern füllen den Bauch zu schnell. Dazu kommt der erhöhte Verlust von Stickstoff bei erhöhter Nahrungsaufnahme, denn Nahrungsfasern erzeugen einen hohen Abrieb der Darmwände, was wiederum einen Verlust von mikrobiologischen Zellen zur Folge hat. Stickstoffverlust ist für Laubfresser ein ernstes Problem, denn der Stickstoffgehalt in Blättern ist zu niedrig, um die physiologischen Bedürfnisse zu decken.
    Kurzum: Kleine Viecher sollten besser kein Laub fressen. Aber Koalas essen nicht einfach Laub, sie fressen ausschließlich Eukalyptus, der im Überfluss vorhanden und immergrün ist. Damit ist alles gesagt, um diese Pflanze zur Ernährung zu empfehlen, es ist die übelste Kost, die sich vorstellen lässt, grobes Stroh, getränkt mit ätherischen Ölen. Eukalyptus enthält mehr unverdauliche Zellwände als jede andere pflanzliche Nahrung, es ähnelt mehr einem Stück Pappe als einem Salatblatt. Arm an Zucker, Stärke, Eiweiß, dafür reich an Terpenoiden, Ligninen, Tanninen und Phenolen. Auch Cineol kommt vor, eine Substanz, die Asthmatikern verschrieben wird. In manchen Arten finden sich hochgiftige Cyanide, und es wird angenommen, dass der Tod der Population im Zoo von Melbourne in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts auf die irrtümliche Verfütterung solcher Arten zurückzuführen ist.
    Das Tier ist äußerst anspruchsvoll und heikel, wenn es um seine Nahrung geht. Manna Gum mag es am liebsten, aber etwa in der Mitte des Winters, für sechs bis sieben Wochen, verschmäht es auch dieses. Diese Zeit verdämmert der Koala in einer Astgabel und wird noch wählerischer, frisst ausschließlich Eucalyptus goniocalyx und camaldulensis.
    Das Tier ernährt sich demnach von Gift, allein die Cyanide sind potentiell tödlich. An diese Nahrung muss man sich gewöhnen, als Kind schon, und weil die Blätter den Kleinen den Garaus machen würden, müssen sie mit einem Futter beginnen, das sie auf die Kost der späteren Jahre vorbereitet. Es muss etwas sein, das die Giftstoffe enthält, allerdings in einer geringeren Dosis, damit das Jungtier seinen Organismus an die Bitterstoffe gewöhnt und sich allmählich immunisiert. Es machte mich betroffen, als ich hörte, dass dieses Vorbereitungsfutter der Pap ist, ein besonderer Kot der Mutter, was diese schon gefressen und verdaut hat, es bekümmerte mich, dass dieses Tier den Dreck, den es ein Leben lang zu fressen hat, nur zu fressen lernt, weil es den Dreck seiner Mutter frisst. Es muss sich ernähren von dem, was in seiner Umwelt zu finden ist, und weil diese Umwelt nichts anderes produziert als Gifte, muss es diese Gifte zu resorbieren lernen, und es bleibt eine prekäre Existenz, eine koprophagische Existenz in einer Welt, in der das Beste, was für Jungtiere zu finden ist, aus dem Darminhalt der Mutter besteht. Um zu lernen, wie man aus einer giftigen Nahrung, der einzigen, die zur Verfügung steht, die notwendige Energie für eine Existenz gewinnt, braucht es die Faeces der Stammhalterin, die weiß, wie man ungenießbare Nahrung verwertet, wie man die tödliche Nahrung verwertet, die man fressen muss, weil es nichts anderes gibt. Es leuchtet ein, wie wenig dieses Tier sich bewegen kann und dass es seinem Baum verbunden bleiben muss, weil das Material, mit dem es seinen Organismus in Gang zu halten versucht, Dreck ist. Mit dieser Nahrung lassen sich keine großen Sprünge machen, das Tier muss sesshaft und ruhig bleiben, den Metabolismus bis an die Grenzen des Stupors drosseln.
    Für einen Forscher kann es keine größere Herausforderung geben als die Beobachtung von Koalas. Die Ausrüstung ist schnell beschafft: ein Zelt gegen den Regen, ein Fernrohr auf einem Stativ,

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