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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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Menschen reichten, und das Tier gedieh, bevölkerte die Wälder in einer Zahl, wie es seit der Ankunft der Jäger nicht geschehen war. Jetzt waren die meisten von ihnen tot, verendet an den Pocken, und die Wälder gehörten dem Tier. Es gab niemanden, der ihm nachstellte, keine Räuber, die klettern konnten, nur vor den Dingos mussten sie sich hüten, wenn sie von einem Baum zum anderen wechselten. Es waren die Jahrzehnte seiner größten Verbreitung, und nach und nach drangen die weißen Siedler in jene Gegenden, die einst den Jägern gehört hatten. Erst elf Jahre nach Barralliers Scheitern gelang es einer Expedition, eine Passage durch die Blue Mountains zu finden, einen Weg, durch den die Siedler mit ihren Schafen und Rindern vorstießen. Gottesfürchtige Menschen, in denen noch die Erinnerung an die alte Heimat lebte und die nichts fanden an der hiesigen Tier- und Pflanzenwelt. Nach allem, was die Wissenschaft ihnen berichtete, und nach ihren eigenen Beobachtungen erschien sie ihnen minderwertig, Produkt einer geografischen Isolation. Die Viecher waren durch die Abschottung zur Inzucht gezwungen, nur deswegen hatten diese Degenerationen entstehen können, und es war gottgewollt, wenn sie diese niederen Organismen, dieses Gekreuche, durch die Züchtungen der Zivilisation ersetzten. Was konnte gut sein an eierlegenden Säugetieren, an hüpfenden Kreaturen mit grotesken Federbeinen, an diesen glubschäugigen, trägen Wesen ohne Eigenschaften, die keine besondere Fähigkeit besaßen, so aschgrau wie stumpfsinnig und blöde in den Bäumen hingen, zu faul, um zu fliehen – wofür sollte der Herr sie geschaffen haben als zur Ernte eines ordentlichen Fells? Von durchschnittlicher Qualität, den Damen zu grob für ihre Hälse, nur als Muff diente es, um die klammen Finger zu wärmen. Immerhin war es wurmfrei. Wenn der Schöpfer etwas einzuwenden hatte, dass man sie von den Bäumen pflückte, hätte er ihnen Kampfgeist gegeben, schnelle Beine oder wenigstens eine Tarnung, aber sie waren so einfach zu finden wie zu töten. Die größte Herausforderung bestand darin, auf den Baum zu klettern, und man konnte schwerlich einen anderen Zweck in ihrer Existenz finden, als dass man ihnen den Pelz über die Ohren zog. Dazu waren sie zahlreich wie die Tauben in den Städten, in gewissen Gegenden fand man sie in jedem Strauch, ihr Gebrüll nachts war so laut, dass die Kinder davon nicht schlafen konnten. Diese Brut vermehrte sich schneller, als man sie erschlagen konnte, obwohl die Jagd, wie erwähnt, denkbar einfach war: Man holte die Tiere mit einem gezielten Schuss von den Bäumen. Es konnte allerdings vorkommen, dass sie sich mit ihren Klauen an einem Ast festhielten, und oft überlebten die Viecher auch den zweiten oder sogar den dritten Schuss aus der Büchse. Ihre Zähigkeit war das Beste, was man über sie sagen konnte, und man berichtete von Tieren, die, selbst nachdem man sie bei lebendigem Leib gehäutet hatte, zurück auf ihren Baum geklettert seien. Und weil Munition in den Anfangszeiten der Kolonie aus dem Mutterland eingeführt werden musste und kostbar war, zogen manche Trapper Gift vor. Meist war es Blausäure, die nach Einbruch der Dämmerung am Fuß eines Eukalyptusbaumes in einem flachen Blechnapf ausgelegt wurde. Frühmorgens, bevor die Dingos auf die Pirsch gingen, sammelte man die Tiere ein und häutete sie; das weiße Fleisch überließ man den Hunden oder Ameisen. Die Jungen wurden aus den Beuteln gerissen, die kleinen den Doggen verfüttert, die größeren, denen man das Überleben zutraute, freigelassen in der Hoffnung auf spätere Beute. Frauen ließ man nicht in die Nähe, weil die Schreie der verwundeten Tiere an das Gewimmer von kleinen Kindern erinnerten.
    Der größte aller Jäger war Harry Bracker, der Sohn Fred Brackers, des Einwanderers aus Mecklenburg, der im Jahre 1829 mit dreihundert reinrassigen Merinoschafen aus der schlesischen Herde des Prinzen Esterhazy auf der ›Diadem‹ nach Queensland gekommen war. Harry war nach J. McInnes das zweite weiße Kind, das in den Darlings Downs geboren wurde, und da er sich schon in jungen Jahren als Todfeind aller Beuteltiere erwiesen hatte, entschlossen sich einige Gentlemen, ihm im Herbst 1877 eine ordentliche Schrotflinte zu kredenzen, und zwar einen Hinterlader der Firma ›W. C. Scott and Son, Birmingham‹. Die doppelläufige Flinte besaß zwei gefederte Hähne, die nach dem Schuss in die Ausgangsposition schnappten. Zwischen den Hähnen befand

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