Koala: Roman (German Edition)
ein Feldstecher, um beweglich zu bleiben, obwohl man niemals beweglich zu sein hat. Dasselbe Material einmal in gewöhnlicher Ausführung für den Tag, einmal als Infrarot für die Nachtbeobachtung. Es macht keine Probleme, den Sender anzubringen. Man klettert zum Tier, schnallt das Gerät um den Hals und steigt wieder hinunter. Dann bleibt nur noch, das Peilgerät und das Richtmikrofon einzuschalten, bevor die Beobachtung beginnen kann. Das Tier verharrt. Es greift einen Zweig und frisst. Danach döst es. Hält auch darin inne. Sitzt und atmet. Macht einen Schritt auf den nächsten Ast. Steckt sich junges Laub ins Maul. Streckt den Rücken und schläft. So vergeht ein Morgen, ein Nachmittag. Die Nacht fällt über das Land. Zwei, drei Mal ein Bellen, das ohne Antwort bleibt. Dann wieder Ruhe. Der Sender meldet keine Bewegung. Der Morgen graut. Das Tier frisst, bevor es sich wieder hinlegt und schläft. Ein neues Blatt sprießt. Der Baum wächst. Die Winde ziehen über den Kontinent. Die Jahreszeiten wechseln. Man findet sich in der Zeit wieder, und es ist die Zeit des Tieres, sein arhythmischer Herzschlag, sein Puls, sein Atem. Vielleicht versucht man, die Gedanken in eine stete Bahn zu lenken, während das Blut weiter durch die Organe zirkuliert und die Welt hastet, während Käfer über den Waldboden und die Schuhe eilen, während der Regen spritzt und der Bach in einiger Entfernung rasch über die Kiesel hüpft. Die Lider nur können sich nicht zur Ruhe besinnen und benetzen die Netzhaut so regelmäßig wie immer, verschließen das Auge eine Zehntelsekunde vor der Welt. Wer sehen will, hat sich dem Stupor zu nähern, jener Bewegung, die sich dem Tode zubewegt. Und es gibt wenige, die dabei wach bleiben und nicht in die Hölle des eigenen Bewusstseins fallen, sondern das Paradies ringsum erkennen, die Hyazinthen, Myrten und den Thymian.
Man beobachtete, wie Koalas ihr Hinterteil gegen den Stamm drücken, wenn sie schlafen, fand heraus, dass sie kein Wasser mögen, vor allem kein kaltes. Bevor sie einen Baum besteigen, pinkeln sie an den Stamm. Männchen reiben ihre Drüsen an der Borke und markieren den Baum. Zum Klettern krallen sie die Klauen in das Holz, ziehen den Körper hoch und stoßen sich mit den Hinterbeinen ab. Sie leben alleine, kümmern sich nicht um ihre Artgenossen. Man hat bis heute wenige Paarungen beobachtet. Soviel man darüber sagen kann, dauert sie kurz, zwischen sechzig und hundert Sekunden. Das Männchen besteigt das Weibchen, zieht dessen Kopf nach hinten und dringt von hinten in sie ein. Einige Stöße, dann macht sich das Weibchen mit einem Kreischen los, das Männchen antwortet mit einem Bellen und steigt vom Baum.
Wie die Partnerwahl funktioniert, ist unbekannt, unbekannt, ob das Weibchen zwischen verschiedenen Männchen wählt, aber es ist wahrscheinlich, dass sie die verschiedenen Männchen nicht voneinander unterscheiden könnte. Das Gehirn ist wohl zu klein dazu.
Weibchen nehmen von ihren Jungen im Beutel keine Notiz. Körperpflege ist ihnen unbekannt, man fand Jungtiere mumifiziert in ihrem Beutel, eingepackt in ein schweres, braunes, teerähnliches Sekret. Manchmal leckt die Mutter das Tier, aber das scheint kein regelmäßiges oder systematisches Verhalten zu sein, und Mütter bemerken es nicht, wenn man ihr Kleines gegen ein anderes austauscht.
Aus der Kloake, in die es geboren wird, klettert das Tier in den Beutel der Mutter. Dort packt es mit den Lippen eine der beiden Zitzen. Es lässt nun nicht mehr los. Seine Größe beträgt neunzehn Millimeter, es ist ein halbes Gramm schwer, siebzehn Tausendstel des Gewichtes seiner Mutter. Die Vorderbeine sind weit entwickelt, an den Fingern finden sich winzige Klauen. Die Schultermuskulatur ist ausgebildet, der Rest des Körpers hat kaum Ähnlichkeiten mit dem erwachsenen Tier. Während dreizehn Wochen lässt das Junge die Zitze nicht los. Die Augen bleiben geschlossen wie die Ohren, das Kleine ist vollkommen nackt. Nach zweiundzwanzig Wochen beginnt ein feiner Flaum die Haut des Kleinen zu überziehen, und bald öffnen sich die Augen, zum ersten Mal wagt es einen Blick aus dem Beutel, der sich im Gegensatz zu anderen Beutelsäugern nach hinten und unten öffnet, was seltsam anmutet bei einen Geschöpf, das dreißig, vierzig Meter über dem Boden lebt. Tatsächlich hat man beobachtet, wie Jungtiere zu Tode fielen, aufgrund einer Unfähigkeit oder Unachtsamkeit der Mutter, ihren Beutel zu verschließen.
Einige Jahrzehnte ohne
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