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Koala: Roman (German Edition)

Koala: Roman (German Edition)

Titel: Koala: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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ist, als würde ein Stern erlöschen. Die Planeten, die er an sich gebunden hat, lösen sich aus der Verbindung, sie entfernen sich von ihrem Zentralgestirn, und ihre Materie wird gleichmäßig im Universum verteilt.
    Bis in den Sommer suchte ich nach einer Frage auf die Antwort, die er uns allen gegeben hatte. Ein Juli, die Hälfte des Augusts, Streifzüge durch die Hochebene, über die Moore, besetzt von unbekannten Blüten, silbrig, fädig, kleine Wimpel, unerreichbar im Hochmoor. Mit den Kindern und Freunden verbrachte ich die warmen Monate in unserem Haus in den Bergen, matte Tage auf der Terrasse, unter uns der Garten, wo die Malven und die Kresse wucherten. Es war nicht Trauer, die mich jede Minute begleitete und mich in ein ewiges, ermüdendes Karussell der Gedanken zwang, jedenfalls nicht das, was ich mir unter Trauer vorgestellt hatte. Ich fühlte keinen Verlust, er fehlte mir nicht, jedenfalls nicht mehr als damals, als er noch am Leben war.
    Wir sammelten Heidelbeeren, die Kinder füllten ihre Gefäße und lachten darüber, wie geschickt der Hund mit seiner Schnauze die Früchte von den Zweigen löste. Mich verfolgten Bilder, die jemand anders gesehen und mir in den letzten Monaten zugetragen hatte. So sah ich immer wieder die rote Lederjacke, mit der er sich in die Wanne gelegt haben soll, ich versuchte mir einen Reim auf die Bemerkung des Freundes zu machen, an der Farbe des Gesichts habe er gleich erkannt, dass sie zu spät gekommen waren. Ich fragte mich, welche es gewesen sein könnte, und weil ich keine gültige Antwort fand, nahm in meiner Vorstellung das Gesicht meines toten Bruders mit jedem Mal eine andere Farbe an, das Spektrum des Regenbogens von Violett bis Gelb.
    Ebenso versuchte ich wieder und wieder, mir seine Wohnung vorzustellen, in der ich nie gewesen war, und ich redete mir aus unbekannten Gründen ein, das Haus müsse an einem Hang gelegen haben, was in Wirklichkeit nicht zutraf. Die Küche sah ich linker Hand, das Bad am Ende des Korridors, das Wohnzimmer rechts, ich versuchte meine Vorstellung zu vervollständigen, bis ich bemerkte, dass mich meine Gedanken an der Nase herumführten. Es war meine eigene Wohnung, jene, die wir damals bewohnten, mit einigen Änderungen, unwesentlichen Variationen. Das Bad, wo sie ihn gefunden hatten, sah ich etwas größer, was ich ihm gewünscht haben mag, um mich von meinen Schuldgefühlen zu entlasten, denn unser Bad war klein und eng. Der Duschvorhang in meiner Vorstellung war nicht zugezogen, doch zur rechten Seite gerade so weit gerafft, dass mir der Blick auf sein Gesicht verwehrt blieb. Und weil ich die ersten Stunden nach dem Anruf seiner Vorgesetzten von einer mit Wasser gefüllten Wanne ausgegangen war, vermochte ich dieses Bild nicht aus meinen Gedanken zu löschen. Es blieb, obwohl ich, wie gesagt, bald darüber informiert wurde, dass er sich in die leere Wanne gelegt und sich die tödliche Injektion gesetzt hatte. Die Aufklärung dieses Missverständnisses tröstete mich, unvernünftigerweise, denn jene Methode, bei der man sich in das warme Wasser legt und die Pulsadern öffnet, soll, wie ich später erfuhr, nicht besonders schmerzvoll sein, durch das austretende Blut natürlich schmutzig – um jenes Wort zu benutzen, das in der Zeit danach, wenn die Rede auf seinen Tod kam, einige Male fiel, das heißt, eigentlich nicht fiel, von dem die Rede war, ohne dass es jemand ausgesprochen hätte. Denn er hatte keinen Schmutz hinterlassen, sich deswegen in die Wanne gelegt, damit beim Tod austretende Körperflüssigkeiten umstandslos weggespült werden könnten und die Wohnung nicht verunreinigen würden.
    Ich fragte mich, ob er damit gerechnet hatte, wie gerade durch diese Rücksicht die Exkremente in der Vorstellung gegenwärtig wurden und die Sauberkeit, von der alle sprachen, ihr Gegenteil aufsteigen ließ. Und hatte er sich als unrein, seinen Körper als Hülle für den Unrat betrachtet, den wir enthalten und der, kaum haben wir den letzten Atemzug getan, durch alle Öffnungen ans Licht treten will? Es schien, als habe mein Bruder Rücksicht bewiesen, indem er den Aufwand zur Entsorgung seiner Leiche auf die Reinigung einer Badewanne beschränkte, aber ich sah darin einen sarkastischen Kommentar zu den Ansichten der Reinlichkeit, die in jener Gegend vertreten wurden, dass die größte Zumutung eines Selbstmörders nicht sein Tod, sondern der Schmutz sei, den er hinterlässt.
    Über steile Pfade stiegen wir den Alpen entgegen, und während

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