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Kobra

Kobra

Titel: Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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nicht schon zu Anfang auf der Szene erscheinen.
    Abermals lasse ich die Telefone klingeln und achte darauf, meine Nerven nicht zu sehr zu strapazieren, denn ich werde sie brauchen. Zwischendurch überlege ich, in wie vielen Minuten ich zu Fuß im Hotel sein kann.
    Ich denke an die Notiz, die ich gestern für Herrn Neumanns Verlobte hinterlassen habe. Wenn er geruht hat, es ihr zu sagen, wäre es nicht gut, sie warten zu lassen. Sie könnte auf die Idee kommen zu gehen, und ich lege Wert auf diese Begegnung. 
    Ich stöbere Maria auf. Wenn jemand hört, wie melodisch sie die Worte ins Telefon spricht, wird er nicht auf den Gedanken kommen, dass sie in einer Dienststelle wie der meinen arbeitet.
    Wir besprechen, wie sie sich bei Antonio Delacroix verhalten soll, sie sagt: „Hasta la Vista, Señor Inspecteur!“, und legt auf. 
    Mir ist, als sähe ich ihr schlaues Lächeln hinter der Sprechmuschel. Manchmal übertreibt sie wirklich.
    Ich raffe die Zeitungen auf dem Schreibtisch zusammen und werfe einen Blick auf die fetten Schlagzeilen, während ich die Treppe hinuntergehe – sonst bleibt dafür keine Zeit. Studentenkrawalle in Deutschland. Tote und Verletzte. Streik des Personals der Fluggesellschaften und der Flughäfen in der Türkei. Hunderttausende Pfund Verlust und der Verkehr lahmgelegt ... Unruhen in Italien ...
    Das ist meine ganze morgendliche Information – ich bin schon auf der Straße. Es ist noch früh, vor neun, und die Straßen in Paris sind voller Menschen. Vor einem Kino eine Schlange – es wird ein Actionfilm gegeben. Manchmal verspüre ich das Verlangen herauszufinden, was das für Leute sind, die frühmorgens nach Karten Schlange stehen. Ich könnte mir ein paar aus der breiten, sich kaum vorwärts bewegenden Reihe herausgreifen und die Frage wissenschaftlich klären, aber es hat keinen Sinn. 
    Außerdem reicht meine Zeit nicht für wissenschaftliche Versuche. Ich habe die heutige Gesprächsserie begonnen, und das erfordert volle Konzentration. Hoffentlich bin ich nicht zu spät gekommen.
    Ein wenig habe ich mich verspätet. Im Foyer steht mit dem Rücken zu mir eine junge Frau und betrachtet intensiv die Vitrine mit den folkloristischen Beutelchen und Keramikbroschen. Legrand bemerkt mich von seinem Krähennest aus und nickt mir zu. Als ich näher komme, sagt er: „Die junge Frau hat soeben nach Ihnen gefragt.“ 
    Das also ist die Verlobte Neumanns. Geschmack kann man ihm nicht absprechen. Längliche Züge, leicht betonte Lider, langes schwarzes Haar. Überhaupt ist bei ihr alles irgendwie in die Länge gezogen wie bei einer modernen Skulptur. Ein teures Kleid, am Handgelenk einen diamantenbesetzten Armreif. Sicherlich wieder Neumann.
    Ich stelle mich mit einer Entschuldigung der Verspätung wegen vor. Sie nickt recht zurückhaltend. 
    „Lily Alert. Beunruhigen Sie sich nicht, ich bin auch eben erst gekommen.“ 
    Wir setzen uns in die Sessel. Sie schweigt und sieht mich prüfend mit ihren länglichen Augen an. Ich prüfe ihre Schuhe. Wahrscheinlich Größe 40. Ich bin enttäuscht.
    „Es war mir leider nicht möglich, mit Ihrem Verlobten ausführlicher zu reden“, beginne ich. „Vielleicht ein Missverständnis. Deshalb freue ich mich, dass ich mit Ihnen ein paar Umstände in einem Fall klären kann, der mich beschäftigt. Wahrscheinlich hat es Ihnen Herr Neumann gesagt.“ 
    Sie lächelt unmerklich. „Ich glaube auch, dass ein Missverständnis vorliegt. Ich weiß nicht genau, wie es dazu gekommen ist, aber Alfred gab mir das Gespräch wider. Wissen Sie, Alfred ist nicht der Mensch, der sich so benimmt. Meinen Sie nicht auch, der Zwischenfall sollte aus der Welt geschaffen werden?“ Sie hat eine tiefe Altstimme und spricht ein bisschen theatralisch, aber ohne jede Verlegenheit. 
    Der Zwischenfall soll aus der Welt geschaffen werden. Ich setze ein gewinnendes Lächeln auf.
    „Sehen Sie, Dr. Bouché“, fährt Lily Alert fort, „Alfred – das heißt mein Verlobter – sitzt drüben im Restaurant. Wir kennen uns alle im Protokoll nicht so richtig aus, aber wenn es Ihnen recht ist, würde er Ihnen selbst sein Bedauern über das Missverständnis ausdrücken. Danach können wir uns irgendwo hinsetzen, und wir werden uns Mühe geben, alle Fragen zu klären, die Sie uns stellen. Soweit es uns möglich ist, natürlich.“ 
    Herr Neumann schlägt also einen anderen Kurs ein. Nichts besser als das. Ich bin zu Verhandlungen bereit.
    Wir stehen auf, und ich führe Lily Alert zum

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