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Kobra

Kobra

Titel: Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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ins Hotel zurückgekehrt ... Moment!“ Er überlegt. 
    Ich warte geduldig dieses im Programm vorgesehene Überlegen ab.
    „Kurz vor elf!“, entscheidet Neumann. „Genau, nicht später als elf.“ 
    „Als Sie das Restaurant verließen, haben Sie da nicht Herrn Delacroix dort bemerkt?“ 
    Neumann überspringt auch diese Falle. Er kneift nur die Lider halb zu. „Ich weiß nicht. Sie meinen, er sei im Restaurant gewesen? Dann habe ich ihn nicht bemerkt.“ 
    „Noch eine Frage bitte. Sie sind in Ihr Zimmer zurückgekehrt. Ist Ihnen da nichts aufgefallen?“ 
    Neumann überlegt kurz. Die wässrigen Augen mustern mich hinter den zugekniffenen Lidern, dann erklärt er entschieden:
    „Nein. Ich bin danach noch einmal weggegangen.“ 
    Ich schweige und warte. Es versteht sich von selbst, dass Herr Neumann erklären muss, warum er noch einmal weggegangen ist, da dies mit Raphael Delacroix’s Tod zeitlich zusammenfällt. Ich sehe Lily Alert an. Sie sitzt starr wie eine Sphinx. Auf ihrem Gesicht liegt ein eigenartiger Ausdruck. Wie bei jemandem, der unversehens das Zimmer eines Schlafenden betreten hat und keinen Schritt wagt, um ihn nicht zu wecken. 
    „Ich wollte ein bisschen spazierengehen.“ 
    „Können Sie sich erinnern, wann Sie das Hotel verlassen haben?“ 
    Neumann hebt die Schultern. „Ich bin wohl kaum allzu lange im Zimmer geblieben. Fünfzehn, zwanzig Minuten.“ 
    Ich wähle das für diesen Fall am besten passende Lächeln und frage: „Entschuldigen Sie, Herr Neumann, meine Frage wird Ihnen vielleicht indiskret erscheinen, aber ich muss sie stellen. Sie brauchen auch nicht darauf zu antworten.“ 
    „Bitte.“ 
    Der Tonfall dieses „Bitte“ ist absolut gleichmütig. Ich kann nur vermuten, was ihn das kostet. 
    „Als Sie in Ihrem Zimmer waren, haben Sie da ein Telefongespräch geführt?“ 
    Der Tote Delacroix sieht mich vom Tisch an. Es vergeht ein wenig Zeit, ehe Neumann antwortet.
    „Nein. Das heißt, ja, falls man das als Gespräch bezeichnen kann.“ 
    Ich warte: Es müsste eine Fortsetzung geben.
    Neumann erläutert: „Ich habe die Nummer der Rezeption wegen einer Auskunft gewählt. In einer privaten Angelegenheit.“ 
    „Hat sich jemand gemeldet?“ 
    „Zuerst nicht.“ 
    „Ich verstehe nicht. Sie sagen zuerst?“ 
    „Ja. Danach habe ich die Nummer noch einmal gewählt, und es hat sich jemand anderes gemeldet, eine Frau.“ 
    „Falsch verbunden?“ 
    „Ja, falsch verbunden.“ 
    „Ich danke Ihnen“, sage ich. „Das wollte ich wissen.“ 
    In den wässrigen Augen blitzt für einen Moment Überraschung auf, verschwindet aber sofort wieder. Anscheinend habe ich zum zweiten Mal ins Schwarze getroffen. Ich beschließe mein Interview, indem ich mich beiläufig erkundige, ob Herr Neumann für längere Zeit in unserem Land bleiben wird. Die Frage klingt ein bisschen nach Vorbedacht, bleibt aber im Rahmen des guten Tons. Neumann macht eine unbestimmte Geste.
    „Vielleicht zwei oder drei Tage. Ich habe ein paar Termine, und es gibt, Sie verstehen, Prozedurfragen hinsichtlich unserer Heirat. Und die erfordern in jedem Falle Zeit.“ 
    Ich verstehe. Das Erstaunliche ist, dass Neumann und die Alert tatsächlich Schritte für eine Eheschließung unternommen haben. Das zeigt mir schwarz auf weiß die Patience in der Dienststelle. Was will man machen – Liebe kennt keine Grenzen.
    Ich wünsche dem Paar alles Gute und schiebe den Stuhl zurück, um aufzustehen, als ich bemerke, dass jemand den Grünen Salon betritt. Jemand ist nicht das treffende Wort für Frau Nilsson.
    Ich erhebe mich, Frau Nilsson sieht sich nach einem Tisch um. Ich grüße. Ein kurzes, aber gut gespieltes Zögern, und ich ändere meine Marschrichtung. Ich lege Wert darauf, Frau Nilsson meine Verehrung persönlich auszusprechen. Die ganze Zeit spüre ich die wasserhellen Augen von Herrn Neumann im Nacken.
    Ein paar allgemeine Phrasen, dann fragt Frau Nilsson, ob ich schon gefrühstückt habe. Nein, natürlich nicht. Die Einladung ist offenbar nicht zufällig. 
    Wir setzen uns. Wenn das so weiter geht, muss ich meine Residenz in den Grünen Salon verlegen.
    „Herr Bouché, nun bin ich überzeugt, dass die französische Police Nationale telepathische Fähigkeiten besitzt.“ 
    Die Ironie überhöre ich. Das von der Telepathie ist interessant, und es wäre lohnenswert herauszubekommen, was Frau Nilsson genau meint, obwohl parapsychologische Themen nicht mehr in Mode sind.
    Um uns herum ist es recht

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