Kobra
Rechtsanwalt zu sprechen.
Ich notiere mir die Koordinaten von Herrn Panaridis: Hotel „Lafayette“, Zimmer 223, und bitte Maria, ihm auszurichten, dass ich ihn in einer halben Stunde in meinem Büro erwarte.
Dieses Mal ist meine Hotelresidenz für solche Gespräche nicht geeignet. Und außerdem muss ich mich umziehen – die Krawatte anlegen.
Trotz ihres unseriösen Aussehens ist Maria ein erstaunlich ordentlicher Mensch. Nach genau einer halben Stunde ist sie da und führt Herrn Panaridis in mein Zimmer.
Jorgos Panaridis, wie ich der Visitenkarte entnehme, die er mir sofort und ein bisschen zeremoniell überreicht.
Panaridis ist um die fünfzig – gepflegt, zurückhaltend, energisches Gesicht mit der, den Umständen entsprechenden Trauermiene. Leider versteht er weder französisch noch deutsch, und Maria wird dolmetschen müssen.
„Herr Panaridis entbietet seine Verehrung“, beginnt Maria, „und möchte seine Vollmachten vorlegen.“
Der Rechtsanwalt holt tatsächlich ein paar Dokumente aus seinem Aktenkoffer und legt sie auf meinen Schreibtisch. Ich verspüre nicht das geringste Verlangen, mich mit ihnen zu beschäftigen.
„Herr Panaridis ist von zuständiger Seite bevollmächtigt, sämtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Tod des Onkels seines Klienten zu klären“, übersetzt Maria abermals. „Herr Antonio Delacroix hat leider nicht mit der heutigen Maschine fliegen können, er ist durch einen unangenehmen und dringenden Fall aufgehalten worden, der seine Anwesenheit erfordert.“
Ich nicke liebenswürdig. Seine Sache!
Immerhin: „Vielleicht schon morgen.“
Für heute Abend habe Herr Panaridis einen Anruf in Athen verabredet und werde seinen Klienten über den Gang der Dinge hier unterrichten.
Im weiteren Verlauf stellt der Rechtsanwalt die Frage, die ich erwartet habe. Wie konnte der Onkel seines Klienten so plötzlich sterben? Der schon ältere Herr habe tatsächlich mit dem Herzen zu tun gehabt, aber dennoch ...
„Nach den Angaben, die uns vorliegen, hat Herr Delacroix Selbstmord begangen“, sage ich in dem Ton, dessen sich Herr Panaridis bedient. Der Rechtsanwalt erstarrt für einen Augenblick in seinem Sessel, fasst sich aber sofort wieder – er hat in seiner Praxis schon vielerlei erlebt und ist nicht leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich nutze das kurze Schweigen, um mich zu erkundigen, ob Herr Panaridis etwas trinken möchte. Kaffee oder Tee? Tee, wie sich zeigt.
„Herr Panaridis bittet um die Möglichkeit, sich mit den Dokumenten über Herrn Raphael Delacroix’s Tod bekannt zu machen“, übersetzt Maria.
Sie stehen zu seiner Verfügung.
Ich hole eine Mappe aus dem Schreibtisch und reiche sie Herrn Panaridis. In ihr findet sich alles Nötige, und ich muss gestehen, es ist nicht eben leicht, so eine Mappe vorzubereiten.
„Gestatten Sie? Nur für einen Moment ...“
Herr Panaridis schlägt die Mappe auf. Er überfliegt die Dokumente, wobei er von Zeit zu Zeit Maria eine kurze Frage stellt. Sie erläutert einzelne Sätze in den Texten und in großen Zügen den Inhalt der Dokumente.
„Ein Protokoll über die Autopsie?“, fragt Herr Panaridis. „Ich glaube, dafür ist auch die Einwilligung der Angehörigen erforderlich?“
Ich verstehe die Frage, bevor sie mir Maria übersetzt hat, an der Art, wie sie gestellt wird. Die Antwort ist parat.
„Nach unseren Gesetzen ist bei Selbstmord die Autopsie obligatorisch.“
Herr Panaridis ist mit dieser Erklärung nicht zufrieden.
„Die Angehörigen des alten Herrn sind strenggläubig“, übersetzt Maria. „Und das wird ihnen äußerst unangenehm sein.“
Meine Antwort geht dahin, dass unser Staat religiöse Gefühle respektiert, doch das seien gesetzliche Vorschriften, wie sie in den meisten europäischen Staaten gelten, und da könne man gar nichts machen. Überdies sei Herr Antonio Delacroix selbst Arzt und kenne solche Situationen. Der Rechtsanwalt verzichtet darauf, diese Frage weiter zu erörtern, und sieht die nächsten Dokumente durch. Er versteht wohl kaum viel von dem, was da geschrieben steht, doch die lange Praxis hat ihn gelehrt, was da im Einzelnen vermerkt ist.
„Wie hat Herr Delacroix eigentlich Selbstmord verübt?“, fragt Panaridis.
Auf diese Frage habe ich eine etwas eigentümliche Antwort vorbereitet, und der Umstand, dass wir einen Dolmetscher haben, macht es mir bedeutend leichter.
„Die unmittelbare Todesursache ist eine zu große Dosis
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