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Kobra

Kobra

Titel: Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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wird er schrecklich verlegen. Sicherlich ist es ihm peinlich, dass ich ihn so antreffe.
    „Treten Sie näher“, sagt er. „Hier, wissen Sie, ist niemand, der mir helfen könnte, und die Gläser reichen nicht, es gibt keine Küchenmädchen ...“ 
    Das Beste, was ich machen kann ist, sofort etwas erzählen, um sein Selbstwertgefühl zu retten. Und ich erzähle eine Geschichte aus der Studentenzeit, die ich mehrere Male erzählt habe und die mir selbst schon zum Halse raushängt, aber lustig ist. Der Effekt stellt sich ein. Wir lachen, und die Verlegenheit ist weg. 
    „Was haben Sie für Kaffee?“, erkundige ich mich. „Könnte ich eine Tasse bekommen?“ 
    „Es ist ein guter, französischer“, antwortet Maxime. „Ich setze die Kaffeemaschine sofort in Gang, er ist gleich fertig.“ 
    Ich sehe ihm an, dass er mich gern etwas fragen möchte, sich aber nicht traut. Wenn ich nachts hier bin, muss es was geben.
    „Ist er über den Berg?“, erkundigt sich Maxime und zeigt mit dem Kopf hin. „Der Herr dort? Sicherlich geht es ihm besser.“ 
    „Unverändert.“ (Delacroix geht es wahrhaftig „unverändert“) 
    „Was für Leute!“, sagt Maxime verwundert. „Sah wohlhabend aus, seriös ... Aber auch die Reichen haben ihre Gründe, sich umzubringen.“ 
    „Ja“, entgegne ich unbestimmt. 
    Wir reden ein bisschen über den Reichtum und über die, die ihre Gründe haben, sich umzubringen und gehen zum Thema „Martin Eden“ über. 
    „Man darf den Mut nie verlieren! Nie!“, sagt Maxime bestimmt. „Selbstmörder sind Feiglinge. Auch wenn man ihm die Schlinge um den Hals legt oder ihn an die Wand stellt, der Mensch muss Haltung bewahren. Auf der Welt gibt es Dinge, für die es sich lohnt zu leben, und Dinge, für die es sich lohnt zu sterben.“ Er sagt das ganz aufrichtig, wie etwas, worüber er nachgedacht und das für sich selbst entschieden hat. 
    Der Junge gefällt mir außerordentlich, weil ich weiß, dass es Leute gibt, die über die „heutige Jungen“ meckern und behaupten, „da waren wir anders, wir hatten noch Ideale“. 
    Inzwischen ist der Kaffee fertig, Maxime gießt ihn in eine Tasse und bringt ihn mir. „Bitte sehr.“ 
    Ich nehme die Untertasse in die Hand, trinke im Stehen und schalte auf das Thema Raphael Delacroix um. Es gibt noch jemanden in der „kleinen Etage“, der mir reichlich unklar ist. 
    „Sagen Sie“, beginne ich, „haben Sie irgendwelche Eindrücke von Herrn McBail, dem von der Seite mit den ungeraden Zahlen?“ 
    Maxime hebt die Schultern. „Ich habe ihn einmal gesehen, vorvorgestern Abend.“ 
    „Und?“ 
    „Nun ja ... elegant, so in den mittleren Jahren. Mit Bart und Pfeife, großspurig, sicherlich eine volle Brieftasche.“ 
    Mit Bart und Pfeife. Der klassische Verbrechertyp aus Kriminalromanen. Bloß, dass dieser Typ sich in letzter Zeit beträchtlich vermehrt hat und die Verbrecher anscheinend ihre Taktik geändert haben. Mich interessiert eigentlich etwas anderes.
    „Haben Sie Herrn McBail einmal in Begleitung gesehen?“ 
    „Nein. War immer allein.“ 
    „Können Sie sich erinnern, ob er mit seinen Zimmernachbarn gesprochen hat?“ 
    „Nein, hat er nicht. Ich habe ihn ein einziges Mal gesehen, das ist alles.“ 
    Auch hier kein Weiterkommen. Ich stelle die Tasse ab, lege ein Geldstück daneben, bedanke mich und verlasse das Office.
    Abermals gehe ich in dem Sessel vor Anker.
    Nach ungefähr zehn Minuten höre ich, wie der Aufzug in unserer Etage hält, die Tür sich öffnet und im Korridor Dr. Poletti mit Gattin erscheint. Im Gehen erzählt er ihr aufgekratzt und ziemlich laut etwas.
    Sie sehen mich und bleiben stehen.
    „Oh, caro Collega!“ Poletti strahlt und streckt mir die Hand entgegen. 
    Er ist ein bisschen angetrunken, sonst wäre er vielleicht nicht stehengeblieben. Ich nutze die Gelegenheit und beginne ein Gespräch in meinem romanisch-französischen Esperanto. Ich erfahre, dass Poletti und Gattin mit Kollegen vom Symposium zu einem Abendessen waren und dass er so angenehmen Leuten lange nicht begegnet ist. Ich erkundige mich nach seinem Vortrag, er gerät ins Schwärmen und versucht ihn mir wiederzugeben, bloß der Wortschatz reicht nicht aus.
    „Trotzdem“, werfe ich ein. „Tierversuche können keine rechte Vorstellung geben. Mäuse sind keine Menschen.“ 
    „Caro Collega!“, verkündet Poletti entschieden. „Dies sind sichere Schlussfolgerungen, viel sicherer, als sie mit Tierversuchen aussehen. Ich sage das mit

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