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Kobra

Kobra

Titel: Kobra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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sich in einer Sprache, die ich nicht verstehe, und beobachten den Korridor, als gehöre er ihnen. Mir fällt etwas über unsere sprichwörtliche Gastfreundschaft ein, und ich versuche, in meinem Roman weiterzulesen. Es gelingt mir nicht, denn im Korridor erscheint ein dritter von derselben Sorte mit dem Gang eines Jaguars; er hat ein Mädchen bei sich. 
    Die beiden erheben sich grinsend. Aber das Mädchen bemerkt mich. Ich weiß nicht, ob sie mich in der Dienststelle gesehen hat oder ob sich ihr sechster Sinn meldet – sie schreckt zusammen und beginnt mich zu mustern, als wolle sie sich überzeugen, dass ich wirklich ich bin. Ich kann mir vorstellen, was sie von mir denkt, aber auch für sie ist es nicht schwer zu erraten, was ich von ihr denke. Die stumme Zwiesprache fällt nicht zu ihrem Vorteil aus.
    Sie macht kehrt, wechselt ein paar Worte mit dem „Jaguar“, und die ganze Gesellschaft entfernt sich würdevoll durch den Korridor, wobei mir die Herren mit den goldenen Uhren im Vorbeigehen verächtliche Blicke zuwerfen. Wir kennen diese Typen. Solche Jaguare werden zu wimmernden Katzen, wenn wir die Schmuggelware aus ihren Citroëns holen. Nur wegen des Mädchens ist es mir peinlich, denn was auch sein mag, sie ist immerhin eine Französin. 
    Ich sitze da und lese. Claude kommt aus seinem Zimmer, geht den Korridor entlang und sieht mich. Er winkt mir vertraulich zu, so etwa wie: „Ist auch nicht leicht, dein Dienst, Inspecteur!“ 
    Ich lächle, so gut ich kann. Leicht ist er freilich nicht, aber ich würde ihn gegen keinen anderen eintauschen.
    Die Schultzes verlassen ihr Zimmer. Sie sind zu zweit, ohne das Kind. Wahrscheinlich haben sie es schlafen gelegt und gehen sich jetzt das nächtliche Paris ansehen. Möchte wissen, wo sie es suchen werden, dieses Paris bei Nacht. Sie gehen vorbei, ohne mich zu grüßen. Vielleicht haben sie mich wirklich nicht bemerkt. 
    Die abendliche Unrast im Hotel lässt langsam nach. Da und dort geht ein Gast vorbei und verschwindet in sein Zimmer. In der Stille ist nur das gleichmäßige Summen der Aufzüge zu hören, die weit weg sind und immer seltener in unsere Etage halten. Jetzt kommt mir der Korridor wie ein großer Schiffsgang mit Kajüten zu beiden Seiten vor. Die Maschinen stampfen irgendwo unten, die Passagiere schicken sich zum Schlafengehen an. Mir ist, als würde sich ringsum der dunkle Atlantik ausdehnen und mir salzige Wassertropfen ins Gesicht spritzen, wenn ich jetzt auf den Balkon träte.
    Vielleicht wäre es wirklich gut, frische Luft zu atmen und über Paris zu schauen, aber ich bin so schlaff, dass ich es nicht über mich bringe, aufzustehen.
    Die Zeit verstreicht, mal langsam, mal schneller, je nachdem, welche Gedanken mich beschäftigen. Im Großen und Ganzen drehen sie sich um Raphael Delacroix. Ich versuche mir vorzustellen, was er für ein Mensch war, welche Gewohnheiten er hatte, warum er sich auf den Drogenschmuggel eingelassen hat. Sicherlich hat er Freunde gehabt, die nichts von seinem Doppelleben geahnt, Frauen, die ihn für eine gute, wenn auch ein bisschen späte Partie gehalten haben. Und er selbst, was hat er selbst über sich gedacht? Hat er das alles für Geld getan, notgedrungen, oder aus Freude am Spiel mit dem Feuer?
    Ich glaube, wenn ich ihn mir besser vorstellen kann, finde ich auch leichter den Weg zu seinem Mörder. Aber der entgleitet weiterhin meiner Vorstellungskraft. Die Frauenstimme, die nach Delacroix gefragt hat, ist noch unklar. Die Anlässe für diese beiden Gespräche – im Restaurant und in der Nacht – sind so verschieden, dass ich fast sicher bin: Das sind zwei Frauen. Und die Fußspuren im Zimmer sind ein bisschen deutlich. Solche Frauen hinterlassen nicht ihre Visitenkarte. Und wenn es irgendeine banale Geschichte wäre, hätte sich die Frau bis jetzt bestimmt wieder gemeldet. Sie meldet sich nicht. Oder ist sie auch nicht mehr da? Für immer verstummt? Abgereist? 
    Kurz vor zehn sehe ich auf dem Korridor Maxime. Er erblickt mich und grüßt. Dann verschwindet er im Office, und die Vitrine mit den Keramikkrüglein wird sofort hell. Als müsste jemand angerannt kommen, um sie zu kaufen, und das mitten in der Nacht. Nachdem Maxime nun mal da ist, will ich mir einen Kaffee bestellen. Ich klopfe, von drinnen ist ein „Bitte!“ zu hören. Weil ich nicht weiß, ob „bitte“ ja oder nein bedeutet, trete ich ein.  
    Maxime steht vor dem Spülbecken, hat eine Schürze umgebunden und wäscht Gläser. Als er mich sieht,

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