Kobra
scheiden lassen, aber nur für unsere konservativen Ansichten. Die Welt ist weit – da gibt es alles Mögliche!
Unklar ist, wo die Schultzes waren und warum sie so spät am Abend plötzlich eine Spazierfahrt unternommen haben. Solche Spazierfahrten, und das nach einem Mord, wollen mir gar nicht gefallen. Es werden ein paar zusätzliche Nachforschungen erforderlich sein, und zwar nicht allzu leichte. Ich kann nichts in die Patience einsetzen, solange ich keine sicheren Angaben habe. Und schon gar nicht die mysteriöse Frau, die 330 aufgesucht hat, sie liegt mir im Magen wie ein Felsbrocken.
Zurück zu den Flughäfen ... Die lassen mir keine Ruhe. Das Unglück der „El Saud“ – dreiundzwanzig Tote –, der Streik, der den Istanbuler Flughafen lahmgelegt hat, die Schießerei in Beirut. Ich schiebe die Patience zusammen, weil das Telefon wieder klingelt. Der Diensthabende vom Einlass.
„Nikita Ampere, auf Ihre Vorladung hin, Dr. Bouché.“
Das ist Nina, die Freundin der Fenner.
Nach ein, zwei Minuten wird an der Tür geklopft. Eine Frau um die dreißig in einem eleganten, grauen Kostüm, grauen, modernen Schuhen und grauen Augen kommt herein. Eine von den Frauen, die beeindrucken.
Offenbar weiß sie nichts von der Fenner, denn es sind keine Anzeichen von Tränen zu sehen, sie ist nicht betroffen, und ihr Gesicht zeigt lediglich ein wenig Beunruhigung und Gereiztheit. Immerhin ist es nicht alltäglich, zu uns bestellt zu werden, und noch dazu so eilig.
Ich biete ihr einen Stuhl an, stelle mich vor und beschließe im selben Moment, ihr nichts vom Tod ihrer Freundin zu sagen. Ich hätte nicht die Kraft, nach der Szene mit Rolgers eine weitere durchzustehen, und vielleicht ist es so auch besser.
„Wissen Sie, weshalb ich Sie hergebeten habe, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte?“, beginne ich.
„Nein“, antwortet die Ampere kurz. Sie ist offenbar keine von den Gesprächigen.
„Es handelt sich um Ihre Freundin Amandine Fenner.“
Sie zieht die Brauen zusammen, nimmt Abwehrhaltung ein. Ihre grauen Augen betrachten mich nicht gerade freundlich.
„Was wünschen Sie? Was ist mit Amandine?“
„Ich möchte gern wissen, wie lange Sie sie kennen.“
„Wir sind zusammen aufs Gymnasium gegangen.“
Kurz und klar, nur befriedigt es mich nicht.
„Und Sie sehen sich oft?“
„Es kommt darauf an, was Sie unter oft verstehen.“
„Sagen wie jeden zweiten, dritten Tag ...“
„Wenn das oft ist, dann sehen wir uns oft.“
„Folglich wissen Sie genau, in welchen Kreisen Ihre Freundin verkehrt, kennen ihre Bekannten ...“
„Was genau wollen Sie wissen?“
„Nennen Sie mir ein paar von ihren Freunden.“
„Ich weigere mich.“
Das habe ich nicht erwartet. Es ist eine der schroffsten und schärfsten Absagen, die ich je erhalten habe. Übrigens kann sie sich weigern, das ist ihr Recht.
„Immerhin, kennen Sie ihren Ehemann nicht?“
„Seinen Namen und Adresse wird Ihnen Amandine selber nennen. Sie können ihn vorladen und vernehmen.“
„Zu Seguin werden Sie mir dasselbe sagen, ja?“
Mich beginnt dieses negativistische Gespräch zu amüsieren. Schlecht ist nur, dass in der Allée le Gramat 4 eine Tote liegt und ich noch nichts Greifbares in diesem Todesfall habe.
Sonst hätte ich das Gespräch fortgesetzt.
„Ich kenne keinen Seguin.“
„Gut“, antworte ich mit einem Seufzer. „Sie können gehen. Schade. Geben Sie mir Ihren Besucherschein zum Unterschreiben.“
Sie steht auf und öffnet die Handtasche (grau!), um das Papier zu suchen. Sie kramt ein bisschen sehr umständlich danach.
„Was ist mit Amandine?“
„Ach“, sage ich, „das klingt schon menschlicher. Setzen Sie sich bitte, der Besucherschein hat Zeit.“
Sie setzt sich.
„Warum interessieren Sie sich für Amandine? Was hat sie gemacht?“
„Antwort für Antwort“, erwidere ich. „Sagen Sie mir zuerst, wann Sie sie zum letzten Mal gesehen haben.“
„Gestern. Gestern Nachmittag. Was ist mit Amandine passiert?“
„Einen Moment. Um welche Zeit nachmittags?“
„Nach der Arbeit. Ich habe sie vom Büro abgeholt, und wir sind ein Stück spazierengegangen.“
„Ja, und?“
„Wir haben im Eiffelturm einen Kaffee getrunken, dann ist sie gegangen. Sie war gar nicht in Stimmung, und ich hatte zu tun. Ich bereite ein paar Projekte vor.“
„Gut“, sage ich, „ich danke Ihnen. Und jetzt will ich Ihnen antworten. Stellen Sie sich vor, Ihre
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