Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
dachte Leo und blickte auf das Papier zu seinen Füßen. Ich will versuchen, mich immer weniger zu ärgern. Wenigstens versuchen will ich es. Mit vier grauen Haaren fängt es an, das Elend, alt zu werden.
Dann bückte er sich, hob das Papier auf und sah nur ein Wort:
»Danke.«
Ein Wort in zierlichen kleinen Buchstaben – die gleiche Schrift wie neulich die Warnung vor Wuttkes Komplott. Kochlowsky durchrann es heiß.
Danke …
Das war für die Feldblumen.
Er setzte seinen Hut wieder auf, brüllte Caesar an, der schweifwedelnd zu ihm kam: »In die Ecke, du Lammschwanz!« und warf die Tür hinter sich zu.
Wieder schirrte er das Pferd vor den Dogcart und fuhr wie ein Irrer zur Kreisstadt zurück. Vor dem Postamt hielt er an und hieb so lange mit den Fäusten gegen die Tür des Vorstehers, bis dieser mit einer Pistole erschien, mit wutfunkelnden Augen und zitterndem Schnurrbart.
»Die Polizei kommt gleich!« schrie er.
»Das ist mir Wurst!« brüllte Leo zurück. »Ich muß ein Telegramm aufgeben.«
»Es ist gleich Mitternacht!« Erst jetzt erkannte der Vorsteher Kochlowsky, trat zurück und ließ Leo in den Raum stürmen. »Herr Verwalter, ich muß doch sehr bitten! Um diese Zeit können nur dringende Regierungstelegramme …«
»Wenn ich telegrafiere, ist es dringend!« schrie Kochlowsky. »Zweifeln Sie etwa daran? Wovon leben Sie denn? Von unseren Steuern! Meine Hände halten Ihren dicken Arsch fest! Ein Telegramm nach Nikolai …«
Der Vorsteher schnappte nach Luft. »Ich bin Beamter! Kaiserlicher Beamter! Nehmen Sie sofort zurück …«
»Ein Telegramm nach Nikolai!« wiederholte Kochlowsky unbeirrt. Er riß ein Stück Papier und einen Bleistift vom Schreibpult, warf ein paar Zeilen hin und hielt sie dem Vorsteher unter die Nase. »Das morsen Sie jetzt sofort durch …«
Der Vorsteher nahm den Zettel, führte ihn näher an seine Augen und las mit zornbebender Stimme vor:
»An Eugen Kochlowsky, Nikolai, Färbergasse 9.
Benötige dringend telegrafisch ein Liebesgedicht an ein engelzartes blondes Mädchen. Umarme dich. Dein Bruder Leo.«
Der Vorsteher der Post starrte Kochlowsky entgeistert an, wischte sich mit dem Zettel den Schweiß aus dem Gesicht und sagte mit erstarrter Miene:
»Das kann man keinem begreiflich machen. Auch der Polizei nicht.«
VI
Man muß wissen, daß der kleine Ort Nikolai zwar ein Postamt, aber natürlich keinen nachts besetzten Telegrafen hatte. Außerdem gingen solche Telegramme sowieso nicht direkt nach Nikolai, dazu war der Ort zu unbedeutend, sondern machten erst einen Umweg über Kattowitz, wo eine Depesche erst einmal über Nacht liegenblieb, bis sie am Morgen weitergegeben wurde. Eine Antwort konnte also frühestens gegen elf Uhr vormittags in Pleß ankommen.
»Da bin ich ja fast zu Fuß in Nikolai!« schnauzte Kochlowsky, als der Vorsteher ihm das zähneknirschend klarmachte. »Und ein Meldereiter ist schon wieder zurück! Je moderner die Post wird, um so schwerfälliger!«
Aber das war nicht alles, was Leo an diesem späten Abend an Unbill widerfuhr.
Schon als er bei seiner Rückkehr zum Gut und beim Ausschirren des Pferdes keinen Laut von Caesar hörte, kein Bellen, kein Knurren, kein freudiges Winseln, ahnte er Böses. Das bewahrheitete sich, als er das Haus betrat und Caesar still in der Ecke lag, die bernsteinfarbenen Augen seelenvoll auf ihn gerichtet, aber sonst unbeweglich. Kein Aufspringen, kein Schwänzeln, keine Begrüßung wie sonst.
Kochlowsky blickte Caesar betroffen an, bezwang die freundliche Regung, sich zu ihm niederzubeugen und ihn zu fragen: »Was hast du denn, du Mistvieh?«, sondern ging ins Wohnzimmer.
Hier allerdings wurde nun alles klar. Die große, Sophie Rinne zugedachte Pralinenschachtel war vom Tisch gezerrt, zerfetzt und ihr Inhalt aufgefressen worden. Geradezu wandalisch hatte Caesar gewütet und die Papier- und Kartonfetzen durch das ganze Zimmer verteilt.
Kochlowsky faßte entsetzt an seinen Bart, schnaufte tief auf, griff nach dem immer für einen eventuellen Besuch von Pittorski bereitstehenden Knüppel und rannte zurück in die Diele.
Caesar hatte das erwartet – er war ja ein selten kluger Hund. Hochaufgerichtet stand er in seiner Ecke, die Lefzen gehoben, die spitzen Zähne bleckend wie in alten Zeiten – ein gefährlicher Feind. Seine Rückenhaare standen bürstenartig aufrecht.
»Du elendes Aas!« sagte Leo und blieb in der Tür stehen. Der Knüppel wippte in seiner Hand, was Caesar mit einem tiefen Knurren zur
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