Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
Haaren ist wie eine Krone. Ja, es ist eine Krone, die Krone einer unbegreiflichen Schönheit. Dann sehe ich ihre Augen … blaue Sterne, und ihr Glanz dringt in mich ein und bringt Licht in jeden Winkel meines Innern …«
»Jetzt wirst du völlig verrückt«, sagte Reichert atemlos. »Jetzt willst du auch noch dichten.«
»Das liegt in der Familie. Mein Bruder Eugen ist doch ein Dichter, du Rindvieh!« Kochlowsky kehrte in die Wirklichkeit zurück. »Noch einen Kümmel, Jakob?«
»Nein! Versprich mir, daß du Sophie nicht wiedertriffst.«
»Das kann ich nicht. Für Zufälle bin ich nicht verantwortlich.«
»Wenn du sie siehst, geh ihr aus dem Weg.«
»Hältst du mich für einen so blöden Pinkel?«
»Du wirst Sophie also ansprechen?«
»Jederzeit.«
»Gut!« Reichert erhob sich. »Wanda, ich, Elena, die ganze Dienerschaft, Pittorski, alle, die ich zusammentrommeln kann, werden beim Fürsten den Antrag stellen, dich zu entlassen – oder wir gehen! Mal sehen, was mehr zieht: dreißig oder vierzig Leute aus dem Personal – oder Leo Kochlowsky!«
»Und wenn du jetzt nicht sofort verschwindest, fliegst du mit dem Stuhl durchs Fenster!«
»Ich kenne dich nicht mehr!« schrie Reichert mit geballten Fäusten.
»Ich nehme es zur Kenntnis.« Leo Kochlowsky nickte. »Meinem Kümmel wird das guttun.«
Er wartete, bis Reichert die Haustür zuschlug, zog sich dann um, ging in den Stall, schirrte ein Pferd vor den Dogcart und fuhr in die Kreisstadt Pleß.
In einer Weißnäherei ließ er sich sechs neue Hemden anpassen, von modernstem Schnitt, mit hohen, weißen gestärkten Kragen, und dazu seidene Plastrons, dunkelgrau mit kleinen blauen Punkten, wie sie auch der Prinz von Wales trug. Dann fuhr er weiter zum Juwelier und kaufte für die Plastrons zwei Nadeln, eine mit einer Perle, eine mit einer rundgeschliffenen blutroten Koralle.
»Das ist das Neueste, Herr Verwalter«, sagte der Juwelier, der den Kauf noch gar nicht fassen konnte. Leo Kochlowsky legte sich Plastronnadeln zu! »Es wird eine Sensation sein, wenn Sie die Koralle tragen. Auf einem grauen Plastron. Phänomenal, sage ich!«
Kochlowsky bezahlte für diese Einmaligkeit einen sündhaften Preis und verabschiedete sich von dem Juwelier so, wie man es von ihm gewöhnt war: »Sie sind ein Halsabschneider! Ersticken Sie an diesem Geld!«
Der Juwelier machte eine tiefe Verbeugung. Das Erlebnis, Kochlowsky etwas verkaufen zu können, wog solche Bemerkungen auf.
Danach erstand Leo bei einem Süßwarenhändler einen Karton Pralinen – von der allerfeinsten Sorte.
Der nächste Weg führte ihn dann zu seinem polnischen Schneider. Das war ein wieselflinker, dürrer, unendlich langer Mensch, ein Jude aus Radom, der sich manchmal heute noch wunderte, daß Vater seliger ausgerechnet nach Pleß gewandert war und dort eine Werkstatt gegründet hatte.
»Mamaleben könnt' ich fragen, warum«, sagte er immer. »Aber Mamaleben, is se nu neunzig und bleed …«
»Was trägt man jetzt in der Großstadt?« fragte Kochlowsky. »Du hast doch immer die neuen Journale, du Halunke! Was trägt man in Berlin? In München? In Hamburg? In Hannover? Ich brauche vier neue Anzüge nach der neuesten Mode.«
»Eiwei, vier neue? Kostet Anzug …«
»Ich will nicht wissen, was sie kosten, ich will Anzüge haben, wie sie hier noch keiner gesehen hat!« brüllte Kochlowsky. »Sie müssen sitzen wie angegossen!«
»Hat man jätzt auch weite, bequäme Mode …«
»Zeig Bilder her!« Kochlowsky setzte sich und ließ seinen Blick über die gestapelten Stoffballen schweifen. Englisches Kammgarn, Aachener Tuche, aus Frankreich herrliche Seidenstoffe für die Westen und das Futter. Moshe Abramski war wirklich der beste Schneider weit und breit.
Es dauerte zwei Stunden, bis Kochlowsky und Moshe sich über die vier neuen Anzüge einig waren. Abramski verlor dabei ein Pfund an Angstschweiß.
»Der Herr Verwalter werden ausschauen wie a Baron. Was sag i … wie a Graf!« rief er, nachdem alles geklärt war. »So elegant … werden verdrehen die Weiberchen die Augen.«
Zuletzt – es war fast schon zehn Uhr abends – holte Kochlowsky den Friseur von seinem abendlichen Bier und der Zeitung weg. Friseur Marek Popolinski rannte sofort in den kleinen Laden, als seine Frau ihm schreckensbleich meldete: »Der Herr Verwalter ist da!«
»Wer?« schrak Marek hoch.
»Der ›Feldherr‹!«
Mit fliegenden Rockschößen erschien Popolinski im Laden. Leo Kochlowsky saß bereits auf dem Frisierstuhl und
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