Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
…«
»Das unterscheidet uns Brüder!« sagte Eugen betont. »Mein Geist lebt zu jeder Stunde.«
Leo Kochlowsky knirschte mit den Zähnen, zog die Bettdecke über seinen Kopf und blieb dann wach bis zum Morgen. Er dachte an Sophie Rinne und träumte mit offenen Augen von der Wonne, sie in den Arm nehmen und küssen zu dürfen.
Und keinen Ärger mehr. Bloß keinen Ärger. Immer ruhig bleiben!
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück, das der polnische Knecht servierte, den Eugen sehr zum Mißfallen von Leo ›mein lieber Bursche‹ nannte, schlug Eugen vor, mit dem Wandern durch Gottes Schöpfung zu beginnen.
»Natur, du göttlicher Quell!« rief er und breitete die Arme aus. »Labe auch meinen steinherzigen Bruder Leo! Wo ist sie?«
»Wer?« fragte Kochlowsky und warf sich seinen Mantel über.
Es war ein trüber Sommertag. Es nieselte. Trotzdem bestand Eugen auf einem Spaziergang und lehnte eine Kutschfahrt ab.
»Wie kann man die Luft genießen mit einem stinkenden Pferdehintern vor sich?« sagte er tadelnd. »Leo, du bist völlig verroht! Das Spiel der eigenen Muskeln beflügelt …«
»Wer ist wo?« wiederholte Leo Kochlowsky seine vorherige Frage.
»Die holde Maid. Wer sonst? Ich muß sie sehen.«
»Im Gegenteil! Sie darf nicht wissen, daß du hier bist!«
»Wie soll ich sie andichten, ohne ihre Strömungen aufzunehmen? Ihr Anblick setzt die Poesie frei. Denk an Faust – wie er Gretchen zum erstenmal sieht … Dafür verpfändet er sogar seine Seele dem Teufel.«
»Wärst du bloß beim Teufel!« sagte Kochlowsky grob. »Wie soll ich dir Sophie vorführen, wo ich selbst nicht weiß, wie ich sie sehen kann.«
»Ah! So ist das!«
»Darum die Gedichte, du Pinsel!«
»Wo arbeitet sie?«
»In der fürstlichen Küche. Sie ist Kochmamsell.«
»Ha! Das ist vorzüglich!« Eugen strahlte seinen Bruder Leo an. »Ich werde in die Lyrik Kulinarisches einfließen lassen. Das imponiert immer.« Und er fing an zu rezitieren:
»Milder Duft durchzieht die Küche, Lockenköpfchen blickt verträumt
in den Kochtopf mit der Soße,
wo die gold'ne Butter schäumt …«
Eugens Brust schwoll wieder, bis die Weste in den Nähten krachte. »Ich fühle es, Leo, die Pleßsche Luft ist voller Poesie.«
Kochlowsky hatte keine Lust, den ›Verrückten‹, wie er seinen Bruder bei sich nannte, im Regen zu begleiten. Während Eugen unter einem schwarzen Regenschirm davonschritt, ging Leo in den Stall und später in die Buchhalterei, wo er die Rechnungen prüfte und abzeichnete, damit sie dem Rentamt zur Bezahlung vorgelegt werden konnten.
Das war ein grober Fehler.
Eugen Kochlowsky spazierte nämlich indessen zum Schloß, fragte dort einen Lakai, wo es zur Küche ginge und wie die Köchin heiße. Er erfuhr, daß ihr Name Mamsell Lubkenski war, und stieg hinunter in Wandas Reich.
Unangefochten von Hemmungen, betrat er die Küche, blieb an der Tür stehen und ließ seinen Blick über die vielen Küchenmädchen schweifen. Sophie Rinne war nicht da. Die Fürstin hatte sie wieder einmal zu sich gerufen, um ihr mitzuteilen, daß sie für den König von Bayern den Pudding kochen solle. Einen Pudding nach ihrer, Sophies, Wahl. Eine Ehre war das, die niemand unter dem Personal begreifen konnte.
Eugen Kochlowsky, der äußerlich wenig Ähnlichkeit mit Leo hatte, vor allem durch sein glatt rasiertes Kinn und sein rundes Gesicht, das mehr zu einem Genießer als zu einem Hungerleider paßte, blinzelte betroffen, als Wanda aus dem Hintergrund auf ihn zuschoß.
»Was wollen Sie hier?« rief sie energisch. »Wer sind Sie? Haben Sie die Kohlrabi geliefert? Ich sage Ihnen: Wenn wieder die Hälfte holzig ist, forme ich Kugeln daraus und schieße sie Ihnen in den Hintern!«
»Mamsell Lubkenski?« fragte Eugen fassungslos.
»Wer denn sonst?«
Eugen betrachtete ihren mächtigen Busen, die runden Hüften, den Ansatz zum Doppelkinn und das von den Kochdünsten feuchte, an den Kopf geklebte Haar.
Mein kleiner Bruder Leo ist wirklich krank, dachte er voller Sorge. Das sind die Nerven. Das war schon als Kind so: Er tat Dinge, auf die andere nie gekommen wären. Sehe sich einer dieses Schätzchen hier an. Blond, zierlich, engelhaft? Die Krankheit muß Leos Sehnerv getroffen haben! Es ist erschütternd.
»Na, was ist?« fragte Wanda grob.
»Gute Mamsell, ich glaube, ich habe mich verlaufen.« Eugen Kochlowsky verbeugte sich höflich. »Ich suche den Verwalter Leo …«
»Suchen Sie den in der Hölle!« schrie Wanda sofort. »Aber lassen Sie
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