Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
stumm zusah, wie Kutscher Bladke den Koffer und die zusammengeklappte Staffelei zur Tür brachte, die Mütze zog, als er seine eine Mark und fünfzig Pfennige bekam, mit krummen Beinen zur Kutsche zurücklief und sich beeilte, aus dem Blickfeld des Herrn Verwalters zu kommen.
Louis Landauer trug Koffer und Staffelei in die Diele und sah Leo jungenhaft freundlich an, als der die Haustür mit einem Fußtritt schloß. Louis war von Eugen vorgewarnt worden: »Mein Bruder Leo ist eine Art Gottesstrafe! Überhöre das meiste von dem, was er sagt, und filtere dir nur das heraus, was dir angenehm ist.«
»Was nun?« fragte Landauer, als Kochlowsky keine Anstalten machte, ihn weiter ins Haus zu bitten.
»Das werden Sie noch sehen!« knurrte Leo böse.
»Wo ist Eugen?«
»Im Bett.«
»Schon?«
»Noch! Er ist krank! Läuft er in Nikolai auch bei Regen durch das Land?«
»Nie! Da kommt er kaum aus der Wohnung heraus.«
»Hier muß er wandern, um zu dichten.«
»Das ist völlig neu. In Nikolai braucht er dazu völlige Ruhe und Einsamkeit, sein kleines Stübchen und ein Lämpchen. Und dann sitzt er vor der Wand und starrt, sie an. Draußen hat er noch nie eine Zeile geschrieben.« Landauer strich sich über das hellbraune gelockte Haar. »Das muß ein ganz schweres Gedicht sein, Herr Verwalter.«
»Warten Sie hier!« sagte Kochlowsky im Befehlston. »Und rechnen Sie damit, daß Sie hinausfliegen!«
»Gewiß.« Landauer nickte ergeben. »Ich weiß dann nur nicht, wohin …«
»Es ist Sommer, es gibt Scheunen genug!«
»Ein hervorragender Rat, Herr Verwalter.«
Kochlowsky blickte den Kunstmaler durchdringend an und stieg dann die Treppe hinauf zu den Schlafzimmern. Caesar lag wie immer natürlich auf dem Bett, zu Füßen des Kranken, wedelte mit dem Schwanz und gähnte. Er erhob sich nicht einmal.
»Erbärmliche Kreatur!« sagte Leo laut zu ihm.
»Das habe ich von meinem Bruder nicht verdient!« erwiderte Eugen. Er schwitzte von dem Rum mit Rohrzucker, der wirklich ein mörderisches Gesöff war, seine Augen waren glasig, die Sprache war gehemmt, aber nicht die Krankheit hatte ihn fest im Griff, sondern der Alkohol. »Wie habe ich mich um dich gesorgt, als du klein warst. In einem Karren habe ich dich herumgefahren, Märchen habe ich dir erzählt, mindestens vierzehn Mädchen habe ich später erklären müssen, daß du ihrer überdrüssig geworden bist, immer war ich für dich da … Und nun bin ich eine Kreatur? Leo, mein Brüderchen …«
Kochlowsky verzichtete darauf, den Irrtum aufzuklären. Er hieb mit der Faust auf den gedrechselten Holzknopf des hohen Fußteils am Bett. Eugen zuckte zusammen, rutschte tiefer in die Kissen und starrte seinen Bruder wehleidig an.
»Was soll dieser Landauer hier?« brüllte Kochlowsky.
»Das fragt du mich? Für Pferdefahrzeuge bist du verantwortlich.«
»Ich meine Louis Landauer!«
»Der ist hier?«
»Mit Pappkoffer und Staffelei …«
»O Gott!« Eugen verdrehte die Augen und begann zu zittern. »Mein Schüttelfrost überkommt mich wieder!« stöhnte er. »Solch eine Influenza habe ich noch nie gehabt! Diesmal sterbe ich daran …«
»Daran nicht!« Leo beugte sich vor. »Es wird ein Brudermord sein!«
»Dann beeile dich, ehe mich das Fieber vorher hinwegrafft …«
»Wieso wohnt Louis Landauer bei dir?«
»Ich kann die Miete nicht voll bezahlen.« Eugen Kochlowsky schloß die Augen und schnaufte dramatisch. »Da kam Louis auf die Idee einer gemeinsamen Wohnung. Wir teilen uns die Miete. Louis verkauft mehr Bilder als ich Artikel oder Gedichte. Ein Bild kann man sich an die Wand hängen und immer betrachten, ein Gedicht nicht.«
»Ein Buch kann man auch immer wieder lesen.«
»Ein Buch! Leo, berühre nicht meinen zartesten Traum: ein Buch von Eugen Kochlowsky! Wenn das jemals Wirklichkeit würde …«
»Man muß eben etwas leisten!«
»Nein! Genialität wird immer zu spät erkannt! Oder soll ich ein Buch schreiben über den Hinterhof unter meinem Fenster?«
»Das wäre ein Thema!«
»Es schüttelt mich! Ein Buch, das Tausende lesen werden … Dann bist du kein genialer Schriftsteller mehr! In meine Bücher muß der Intellekt des Lesers sich erst hineinbohren – das ist Kunst!«
»Warum hast du mir nie gesagt, wie dreckig es dir geht, Eugen?«
»Hättest du mir geholfen? Ja, vielleicht. Mit typischen Kochlowsky-Reden: ›Wenn du nichts zu fressen hast, arbeite was anderes! Künstler! Was ist ein Künstler? Ein am wirklichen Leben vorbeischleichender
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