Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
ihn bloß dort!«
Eugen starrte sie noch einmal entgeistert an, empfand großes Mitleid mit seinem kleinen Bruder und verließ schnell die Küchenräume. Auf diesen Schreck hin brauchte er viel frische Luft. Darum spannte er den Schirm auf und ging im Regen zwei Stunden lang spazieren. Mit nassen Hosen und durchweichten Schuhen klaubte Leo ihn endlich auf, als er mit einer Kutsche herumfuhr und voller Unruhe seinen Bruder suchte.
»Du hast wohl eine Schraube locker!« rief Leo, als Eugen ächzend in die Kutsche stieg. »Im strömenden Regen latschst du herum! Total aufgeweicht bist du! Jetzt kannst du nur noch Wassergedichte schreiben, was?!«
Eugen schwieg und sah seinen Bruder voller Mitgefühl an.
»Die Mamsell ist zierlich?« fragte er.
»Eine Elfe ist ein Baumstamm dagegen … Warum?«
»Bist du sicher, daß sie deine Gefühle erwidert?«
»Ich weiß es nicht. Sie ist so schüchtern.«
»Was ist sie?« Eugen dachte an Wandas Stimme und ihren beim Sprechen bebenden Busen. »Schüchtern?«
»Scheu wie ein Rehkitz …«
»O mein Gott!« Eugen legte den Arm um Leos Schulter. »Wenn ich dir helfen kann …«
»Ich brauche zehn Gedichte, mindestens …« Kochlowsky blickte Eugen hoffnungsvoll an. »Ist dir schon etwas eingefallen?«
»Ein Dom ist für mich eingefallen!« sagte Eugen erschüttert. Wie krank er ist, dachte er. Man könnte weinen um ihn. Ein Mordsweib ist in seinen Augen eine Elfe! So weit ist es mit ihm gekommen. Oh, mein kleiner Leo …
»Fahr uns nach Hause«, bat er mit erstickter Stimme.
»Wohin sonst?« knurrte Leo. »Ich muß dich ja auswringen!«
Der poetische Spaziergang hatte Folgen, Leo hatte es schon befürchtet: Eugen bekam einen gewaltigen Schnupfen, geschwollene Mandeln und schwitzte im Bett. Er verlangte heißen Rum mit viel Rohrzucker, denn nur der allein helfe, er verstehe etwas davon. Zweimal im Jahr habe er Influenza, aber das habe auch etwas Gutes, denn das Schwitzen reinige den Körper von allen Verschlackungen. Nur genügend Rum müsse da sein, um das innere Feuer zu entfachen.
Und so lag Eugen Kochlowsky fünf Tage lang stramm im Bett, meistens betrunken von seiner ›Medizin‹, und bedauerte seinen geisteskranken Bruder Leo.
Das ärgste aber war, daß Leo Kochlowsky seinen Bluthund Caesar nicht mehr begriff. Der schwere Dobermann lag bei Eugen im Bett, unten zu dessen Füßen, und regte und rührte sich nicht. Nur zu den Mahlzeiten stieg er aus den Federn, gähnte laut und wurde munter wie Eugen, wenn er etwas Eßbares roch.
»Verräter!« sagte Leo einmal zu Caesar. »Elender Bastard! Und du solltest mich beschützen!«
Caesar reagierte nicht darauf. Er hatte die schöne Aufgabe übernommen, Eugen die Füße zu wärmen, wenn diesen der Schüttelfrost überkam.
Am fünften Tag klopfte es an die Tür des Verwalterhauses. Es war Abend, Eugen hatte gerade gegessen und schlürfte seine Medizin, ein großes Glas Rum mit Rohrzucker. Leo öffnete und entdeckte zunächst wieder den Fuhrmann Philipp Bladke samt Kutsche, Pferd und einem Pappkoffer. Nur war das Gepäck jetzt etwas umfangreicher. Eine zusammenklappbare Staffelei lehnte daneben.
An der Haustür stand ein junger Mann, zog seinen großen schwarzen Schlapphut und verbeugte sich.
»Herr Verwalter!« rief Kutscher Bladke sofort. »Ich habe nur einen Auftrag ausgeführt. Ich kann nicht einen Fahrgast fragen, ob er das auch darf – einfach zu Ihnen kommen!«
»Der Fahrer bekommt …«, sagte der unbekannte Gast.
»Einsfuffzich!« brüllte Bladke.
»Wer sind denn Sie?« fragte Kochlowsky abwehrend.
»Ich habe so lange nichts von ihm gehört. Wir hatten ausgemacht, daß er sofort Laut gibt. Ich bin sehr in Sorge. Mein Freund ist doch bei Ihnen?«
»Wer soll hier sein?«
»Eugen Kochlowsky. Wir wohnen zusammen und teilen uns die Miete. Mein Name ist Louis Landauer. Eugen sagte: ›Komm am sechsten Tag nach, wenn ich mich nicht melde.‹ Und hier bin ich.«
»Und was wollen Sie hier?« Leo Kochlowskys Stimme klang rostig. »Noch ein Dichter, der Eier zum Denken braucht?«
»Nein.« Louis Landauer sah Kochlowsky strahlend an. »Ich soll hier das schönste Mädchen der Welt malen, sagte Eugen. Ich bin akademischer Kunstmaler, Herr Verwalter.«
VII
Es gab tatsächlich Augenblicke, in denen auch ein Leo Kochlowsky ratlos, sprachlos und damit erstaunlich friedlich war. Das geschah zwar selten und ging auch sehr schnell wieder vorüber, aber die augenblickliche Situation war so verwirrend, daß Kochlowsky
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