Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Es stimmte also, was man sich in Herzogswalde erzählte: Ohne Hammerschlag geschah hier gar nichts. Alles, so weit man blicken konnte, gehörte wohl dem Baron von Finck – aber der eigentliche Herr auf dem Besitz war Hammerschlag. Hier redete ihm keiner drein, nur sein Wort galt.
Wie ähnlich wir uns sind, dachte Kochlowsky – und wirklich, es kam Neid in ihm hoch. So war auch ich in Pleß … Auf Gut III gab es nur mich. Ich war Herr über drei Dörfer und ein kleines Heer polnischer Landarbeiter mit ihren Frauen und Töchtern. Vor allem die Töchter – verdammt, war das eine Zeit gewesen!
Nach den aufwärmenden Schlucken zeigte Hammerschlag sein Haus, aber vor der Tür zu seinem Schlafzimmer blieb er plötzlich stehen. Mit ernster, ja feierlicher Miene sah er Kochlowsky an.
»Wo haben Sie Ihre Mutter?« fragte er gepreßt.
»Hier.« Kochlowsky griff in die Brusttasche und zog die alte, verblichene Daguerreotypie hervor. Er hielt sie Hammerschlag unter die Augen. Der beugte sich vor und sah das Foto gründlich an.
»Das also ist Emma«, sagte er dann.
»Ja.«
»Sie sehen sich sogar fast ähnlich.« Hammerschlag stieß die Tür zum Schlafzimmer auf. Gegenüber seinem Bett hing an der Wand die eingerahmte Kreidezeichnung seiner Mutter. Wenn Hammerschlag im Bett lag, hatte er das Bild immer vor Augen. »Meine Emma …«
Kochlowsky straffte sich, ging in das Schlafzimmer, trat vor die Kreidezeichnung, fand, daß diese Emma seiner Emma überhaupt nicht ähnlich sähe, aber aus Höflichkeit unterdrückte er diese Feststellung, nahm die Hacken zusammen und machte vor dem Bild eine kleine Verbeugung.
In Hammerschlag quoll Rührung auf. Fast war es ihm, als schossen ihm Tränen in die Augen. Er räusperte sich, unterdrückte seine Rührung und gab seiner Stimme einen forschen, aber brüchigen Klang.
»Unsere Mütter … wenn sie uns jetzt sehen könnten!«
»Ihre würde Ihnen täglich ein paar runterhauen …«
»Und Ihre hätte Sie schon längst vergiftet!« Hammerschlag steckte die Hände in den Hausrock. »Gehen wir zu Tisch. Das Essen wartet …«
Kochlowsky wandte sich von dem Bild der Hammerschlag-Emma ab. Daß sie mit seiner Mutter eine Ähnlichkeit haben sollte, war fast beleidigend. Emma Kochlowsky war eine große, schlanke Frau gewesen, pechschwarz das Haar und ebensolche Augen, was ihr Sohn Leo geerbt hatte. Emma Krystalsciek, eines der schönsten Mädchen von Kochlowitz. Daß sie ausgerechnet den Ziegeleibuchhalter Kochlowsky liebte, begriff damals niemand. Hier aber, auf dem Kreidebild, sah ihn eine dralle Frau an, mit einem dümmlichen Lächeln, wie Kochlowsky es innerlich bezeichnete. Es gab da nur eine Gemeinsamkeit: Sie waren Mütter von zwei Grobianen geworden.
»Essen ist ein vorzügliches Wort!« sagte Kochlowsky. »Hammerschlag, Sie begeben sich da auf Glatteis. Auf dünnstes Glatteis! Wissen Sie, daß meine Frau Köchin des Fürsten Pleß gewesen ist? Was sie kocht, ist ein Kunstwerk. Gelernt hat sie bei der Fürstin zu Schaumburg-Lippe in Bückeburg!«
»Ich habe davon gehört.«
»Bismarck hat einmal nach einem Essen ausgerufen: ›Das war die beste Erbsensuppe meines Lebens!‹«
»Linsensuppe …«, berichtigte Sophie und lächelte.
»Sie hören es! Linsensuppe! Hunderttausende Frauen kochen Linsensuppe, aber nur eine kocht sie so, daß ein Bismarck ausruft …«
»Hätte ich doch mal bei Hammerschlag gegessen …!«
»Sie Banause! Was verschmort da in Ihren Töpfen?«
»Lassen Sie sich überraschen. Die Augen werden Ihnen übergehen und die Geschmacksnerven zucken!«
Der Knecht in Dieneruniform und die Magd Mathilde trugen das Essen auf. Zunächst eine Suppe, bei der Kochlowsky schnuppernd die Nase hob und erstaunt zu Hammerschlag hinüberblickte.
»Das ist ja eine Weinsuppe«, sagte er gedehnt. »Mit Gewürzen und saurer Sahne.«
»Rein polnischer Art.« Hammerschlag nickte. »Wohl bekomm's!«
Die Suppe schmeckte köstlich, aber Kochlowsky bemühte sich, daran herumzukritisieren: »Es fehlt etwas an Zitronen«, sagte er. »Und Zimt ist auch knapp … Aber sonst – eßbar.«
»Das beruhigt mich sehr.« Hammerschlag schenkte Wein aus, Weißwein, was Kochlowsky aufmerken ließ. Gab es jetzt Fisch? Voller Vorfreude lehnte er sich zurück. Bei Fisch kann man immer meckern. Ist er gebraten, sagt man: zu blaß – oder zu dunkel … ist er gekocht, sagt man: zu trocken und ausgelaugt – oder zu matschig, glitschig, halbgar … Wenn man will, ist ein Fisch nie gut
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