Kochwut
dicken dunkelblauen Troyer über die Flanellbluse gezogen, außerdem trug sie eine bodenlange grüne Schürze. Gerade kniete sie auf dem Boden, um ein ganz weit nach hinten gerutschtes Honigglas aus dem Regal zu ziehen, da klopfte es an die noch abgeschlossene Ladentür. 9.30 Uhr. Da schien es aber jemand mit seinem Einkauf besonders eilig zu haben. Zwei junge Männer standen draußen und spähten durch die kleine Schaufensterscheibe. Der Kunde war König, und Hilde schloss die Tür auf.
»Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Morgen. Vielen Dank, dass Sie uns schon reinlassen. Ist verdammt kalt draußen.«
»Möchten Sie etwas Bestimmtes oder wollen Sie erst einmal ein bisschen schauen?«
»Wir schauen uns um, danke«, antwortete der vielleicht 30-Jährige mit einem netten Lächeln und ließ seinen Blick über die Regale schweifen. »Aber sagen Sie, man hat hier doch gestern den Grafen von Güldenbrook gefunden, mit einem Messer in der Brust und ziemlich tot. Wissen Sie was darüber? Oder kannten Sie den Grafen vielleicht persönlich?«
Hilde hatte vorher nicht darauf geachtet, aber jetzt sah sie, dass der eine der beiden Männer einen Fotoapparat um den Hals hängen hatte. Das kleine Glöckchen an der Ladentür begann wieder zu bimmeln, und eine Frau, auch höchstens 30, in der Hand ebenfalls eine Kamera, kam herein. Sie trug einen weißen Anorak und schüttelte sich.
»Ach nee, die ›Gazette‹ ist also auch schon hier? Guten Morgen, Jungs! Brr, das ist ja so was von schweinekalt, und außerdem liegt das hier ja wirklich am A…«, sie unterbrach sich, als sie Hilde bemerkte, knipste ein Lächeln an und sagte noch einmal »Guten Morgen« und dann: »Ich bin Birgit Rose von der Lübecker Zeitung. Darf ich vielleicht ein paar Fotos machen? Sie so hinter der Theke – das macht sich gut!«
»Ich möchte nicht fotografiert werden, und bevor Sie hier irgendwelche anderen Fotos machen, setzen Sie sich lieber mit dem Chef in Verbindung, der wird das entscheiden«, sagte Hilde freundlich, aber bestimmt.
»Der Chef ist der Lebouton, oder wie? Wo finde ich den?«
»Drüben im Herrenhaus ist sein Büro. Wenden Sie sich bitte dorthin.«
Die junge Journalistin und ihre beiden Kollegen trollten sich, und Hilde sah, dass draußen auf dem Hof mittlerweile noch zwei Kleinbusse mit den Logos bekannter Fernsehstationen eingetroffen waren. Pierre hatte schon häufiger Andeutungen gemacht, welche unangenehmen Seiten es hatte, ein prominenter Fernsehkoch zu sein. Die Medien stürzten sich gern auf alles, was nach Sensation roch – und ein Toter im Umfeld der Lebouton-Show, das war sozusagen ein doppelter Treffer.
»Wenn es keinen wirklichen Skandal gibt, dann basteln die sich einen. Die Quote, die Auflage geht doch schon lange über Wahrheit und Moral«, hatte er gesagt. Dann hatte er sie plötzlich angelächelt.
»Aber ich mache diesen Zirkus hier bald nicht mehr mit, das habe ich mir schon lange vorgenommen. Ich werde Privatier. Ich lebe hier auf Güldenbrook, ganz ruhig und gemütlich, und wenn mir langweilig wird, dann fahre ich ins Elsass, in die Toskana, überall dahin, wo’s schön ist und man gut kocht. Natürlich zusammen mit dir, meine Liebe.«
Selbstverständlich hatte Hilde sich über diese Aussichten gefreut – aber richtig vorstellen konnte sie sich nicht, dass Pierre seine vielfältigen Unternehmungen so von einem Tag auf den anderen aufgeben würde. Eines war jedenfalls klar, dachte sie, dass der Mord auf Güldenbrook ein gefundenes Fressen für die Medien war. Die Nähe zu einem grausigen Verbrechen übte auf die meisten Menschen eine unwiderstehliche Faszination aus und trieb die Zuschauerzahlen in die Höhe. Und mit Sicherheit würde auch Pierres Sender kräftig mitmischen und letztendlich davon profitieren.
Hell schlug das Ladenglöckchen an. Ein Paar um die 50 kam herein, grüßte freundlich und drehte dann gemächlich eine Runde an den Regalen vorbei, durch die Lesebrille genauestens sämtliche Etiketten studierend. Solche Kunden gab es hier manchmal. Sie stellten detaillierte Fragen nach Herkunft und Verarbeitung der Produkte, und Hilde war froh, in diesem Fall die meisten davon zur Zufriedenheit der beiden beantworten zu können. Sie hatte schon Besucher gehabt, die es noch genauer wissen wollten und denen keine ihrer Antworten genügte.
Es gab auch eine Devotionalienabteilung, wie Pierre das selbst nannte, für die Käufer, denen der Lebouton-Schriftzug auf der Nudelpackung oder
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