Kochwut
nichts sagte, war sie wohl mit der Auswahl seiner Garderobe, einer braunen Hose und dem cremefarbenen, gestreiften Hemd, zufrieden.
»Danke für den Tee, Schatz. Aber ich fürchte, das schaff ich nicht mehr. Ich muss jetzt schnell los und den Wagen in St. Gertrud abholen. Den hab ich nämlich heut Nacht besser dort stehen lassen«, sagte er mit einem netten Lächeln. Astrid ging darauf nicht ein.
»Setz dich ruhig hin. Wir haben noch eine Viertelstunde. Martin holt uns ab.«
Georg setzte sich und goss sich einen Tee ein. Sein Magen, von den reichlich genossenen Speisen und diversen alkoholischen Getränken am Vorabend ohnehin etwas strapaziert, hatte sich soeben spürbar zusammengezogen.
»Martin? Ist der auch eingeladen?«
»Ja. Sigrid mag ihn wohl ganz gern, und die anderen kennen ihn ja auch alle«, sagte Astrid leichthin.
Das war auch kein Wunder, die kamen an Martin ja gar nicht vorbei. Zu Astrids Geburtstag, zu dem der Kinder, zum Familienpicknick am Strand, zum Kaffee im Advent, wozu auch immer – es hatte kaum ein Treffen mit der Familie in den letzten Monaten gegeben, zu dem Astrid ihren Kollegen nicht großzügig eingeladen hatte. Nur wenn Johanna die Gastgeberin war, fehlte Martin. An Heiligabend, beim Neujahrskaffee – für Johanna waren das intime Familientermine, und sie hätte es nie gutgeheißen, einen in ihren Augen immer noch Fremden dazu zu bitten. Manchmal hatten eben auch die unumstößlichen Prinzipien seiner hanseatischen Schwiegermutter ihr Gutes, dachte Angermüller.
Sigrid wohnte mit ihrem Mann Jochen und den drei Kindern in einem Haus in Travemünde in der Nähe des Golfplatzes. Das Haus war riesig, hatte drei Garagen – in jeder stand ein Auto –, einen Swimmingpool und einen Garten, der so groß wie ein Park war. Drinnen waren die Räume angefüllt mit lackglänzenden Antiquitäten auf dicken Teppichen, ziemlich wahllos, wie Angermüller fand. Er fühlte sich dort immer wie in einer Möbelausstellung. Ansonsten viel Messing, viele Spiegel, teurer, unpersönlicher Nippes. Das Einzige, was er an dem Haus schön fand, waren die großen Fenster, auch im Wohnzimmer, die viel Licht und Sonne hereinließen und durch die man einen schönen Blick in den weitläufigen Garten hatte.
Gleichzeitig mit Astrids Schwester Gudrun und deren Familie kamen sie in Travemünde an. Wie immer begrüßte man sich betont herzlich. Küsschen für die Schwägerinnen, ein kumpelhaftes Schulterklopfen für die Schwager, großes Hallo für Martin, alle furchtbar gut gelaunt und zu Witzen aufgelegt. Angermüller ließ geduldig die üblichen Sprüche der anderen über sich ergehen. Als Polizist und Beamter war er in dieser Sippe – Gudruns Mann Peter war Hotelier, Jochen Zahnarzt, die Damen arbeiteten nicht – eine Ausnahmeerscheinung und bekam immer wieder erzählt, wie gut er es habe mit seinem sicheren Job und dem Pensionsanspruch. Er sagte schon lange nichts mehr von unregelmäßigen Arbeitszeiten, Überstunden, Stelleneinsparungen. Gegen dieses Bollwerk von selbstgefälliger Ignoranz hatte das überhaupt keinen Sinn.
Dann folgten Gratulation und Geschenkübergabe. Außer der Familie waren nur noch die Nachbarn anwesend, Volker und Hella, Besitzer eines der größten Autohäuser der Region und des noch protzigeren Hauses nebenan. Wie immer waren sie tief gebräunt, und wie immer trug Volker einen zu eng sitzenden Anzug und schwitzte, und die hellblond gefärbte Hella hatte etwas zu viel Gold um Hals und Handgelenk. Sie waren nicht nur die besten Freunde von Sigrid und Jochen, sondern auch die Paten von deren Kindern.
Im Wohnzimmer saßen bereits Johanna und Heini auf der Couch und sahen ihnen erwartungsvoll entgegen. Georgs Schwiegervater hatte erst vor ein paar Wochen seinen 81. Geburtstag gefeiert. Immer noch war Heini geistig rege, aber in diesem Winter zusehends gebrechlich geworden. Ein Hüftleiden zwang ihm schon lange einen Stock auf, und da er mit seinem Hörgerät noch nie richtig klargekommen war, stellten größere Menschenansammlungen für ihn eine anstrengende Herausforderung dar. Hatte er bis vor Kurzem immer gern mal einen genommen, wie er sich ausdrückte, so hatte sich mittlerweile seine Lust am Essen und Trinken merklich vermindert. Auf Familienfeiern hielt er nicht mehr lange durch und zog sich meist sehr frühzeitig mit Johanna wieder nach Hause zurück. Aber die Freude, die es ihm bereitete, die Kinder und Enkel wieder einmal um sich zu haben, war ihm deutlich anzumerken.
»Na,
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