Kochwut
erstaunt. In Sachen Benimm vertraute er seiner Frau voll und ganz, die in Johannas Schule gegangen war.
»Du kriegst doch wieder deine Kopfschmerzen, oder? Das seh ich dir ja an. Wenn das kein legitimer Grund ist! Und es muss ja auch nicht so lange sein.«
An der frischen Luft fühlte sich Georg gleich etwas besser. Es war schon erstaunlich, wie genau Astrid immer wusste, was mit ihm los war und was ihm guttat. Für ihren Vorschlag, nach draußen zu gehen, war er ihr jedenfalls dankbar. Sie gingen hinunter zum Strandweg und wandten sich in Richtung Travemünde. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinanderher. Stetig blies ein recht starker Wind, der einen die frostigen Temperaturen noch tiefer empfinden ließ. In einem regelmäßigen Rhythmus brandeten die Wellen an die Uferbefestigung und brachen sich mit weißer Gischt. Weiter draußen glänzte die Ostsee im trügerischen Sonnenschein, und über ihr spannte sich der wolkenlose Himmel in zartem Blau.
»Jetzt hätten wir ja ein bisschen Zeit«, fing Astrid an. »Wollen wir unser Gespräch von gestern fortsetzen?«
»Ich hab nichts dagegen. Dann sag mal, wo deiner Meinung nach die Probleme liegen.«
»Moment! Du hast gesagt, ich wäre mit meiner Kritik oft unfair und ungerecht. Ich finde, das musst du mir erst noch etwas genauer erklären.«
Er war zwar der Meinung, das schon hinreichend getan zu haben, aber Georg wollte eine ruhige Aussprache und gab sich Mühe, seine Sicht der Dinge noch einmal ohne Polemik darzustellen.
»Ich hab halt in letzter Zeit oft den Eindruck«, schloss er, »dass du mir die Schuld gibst auch in Fällen, wo ich wirklich nichts dafür kann, sondern berufliche Umstände sämtliche Pläne und Termine über den Haufen werfen.«
»Ah ja«, sagte Astrid langsam und beobachtete eine Fähre draußen auf See, die weiß in der Sonne erstrahlte und in Richtung Skandinavien unterwegs war.
»Und was meinst du damit: in letzter Zeit?«
»Na ja«, Georg überlegte schnell, wie er sich möglichst wertfrei ausdrücken sollte. »Wenn ich so drüber nachdenke, würd’ ich sagen, das hat irgendwann im letzten Sommer angefangen. Ich meine, ich weiß, dass du dich auch vorher manchmal aufgeregt hast, wenn ich mal wieder was vergessen hatte oder zu spät gekommen bin, aber irgendwie glaube ich, wir hatten deshalb nie solche Auseinandersetzungen.«
Astrid schaute immer noch hinüber zu dem großen Fährschiff. Es dauerte ein wenig, bis sie antwortete.
»Vielleicht war halt irgendwann meine Toleranzgrenze überschritten«, sagte sie dann. »Ich hab wahrscheinlich viel zu lange meinen Brass runtergeschluckt, wenn ich mich mal wieder über deine Unzuverlässigkeit geärgert hatte. Außerdem ist es ja auch erst seit Mai, dass ich wieder mehr Stunden arbeite. Seitdem kann ich deine Versäumnisse halt nicht mehr so einfach abfedern. Unser Alltag muss perfekt organisiert sein, damit er reibungslos funktioniert, und da muss einfach jeder von uns sein Teil dazu beitragen.«
Wenn Astrid ihre Vorstellungen von Pflichtenverteilung so klar und logisch schilderte, dann hörte sich das eigentlich alles ganz simpel und selbstverständlich an. Aber das war nur die Theorie, und im richtigen Leben lief es dann doch ganz anders, wie Angermüller schon oft erleben musste.
»Du bist ja wirklich klasse im Organisieren, aber manchmal kommt einem eben der böse Alltag dazwischen …«, versuchte er Astrids Verständnis zu wecken.
»Oder aber deine böse Nachlässigkeit, die dich zumindest in privaten Dingen öfters überkommt. Ich glaube nicht, dass du dir das in deinem Job erlauben kannst.«
Astrid war stehen geblieben, und ihr Ton klang etwas weniger friedfertig als bisher. Georg suchte nach einer diplomatischen Antwort und fand das gar nicht so einfach. Da meldete sich das Diensthandy in seiner Hosentasche. Er war aus seiner Verlegenheit erst einmal erlöst, aber er sah an dem Gesicht seiner Frau, dass sie über diese Störung alles andere als erbaut war. Ein Beamter aus der Einsatzzentrale in Lübeck meldete sich mit Neuigkeiten.
»Das tut mir jetzt wirklich leid, Astrid«, bedauerte Georg, nachdem er das Gespräch beendet hatte und sein Handy zuklappte. Er blinzelte unsicher, weil Astrid ihm gegenüber direkt vor der Sonne stand.
»Du hast es ja mitbekommen. Ich muss weg. Am besten, ich geh gleich da vorn hoch zur Kaiserallee, wo Jansen mich abholt. Kommst du den Weg mit oder gehst du über den Strandweg zurück?«
Halb resigniert, halb belustigt schüttelte
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