Kochwut
rund um Güldenbrook durch das Wäldchen fortsetzten.
»Vorsicht Vadder, da wo die Sonne nicht hinkommt, kann das ganz schön glatt sein. Auf den winzigen Nebenstraßen hier wird nämlich nicht gestreut. Nimm mal lieber meinen Arm.«
»Ich pass schon auf, Hilde. Aber wenn du meinst«, entgegnete der alte Herr und hakte sich bei seiner Tochter ein.
Sie passierten die Rückseite des Herrenhauses, das stolz und von der Sonne beschienen hinter seinem Wassergraben lag. Als sie den Schatten der Bäume verlassen hatten, war es so warm, dass Hilde ihre Jacke öffnete. Sie warf einen verstohlenen Blick hoch zu den Fenstern, hinter denen sich Pierres Wohnung befand, und dachte darüber nach, wie sie ihm entgegentreten sollte. Ihr Ärger, dass er sie heute Morgen versetzt hatte, war schon ziemlich groß. Doch vielleicht sollte sie erst einmal vorsichtig versuchen herauszufinden, was hinter seinem Ausbleiben steckte. Eigentlich glaubte sie, ihn mittlerweile gut genug zu kennen, um zu wissen, dass es ein triftiger Grund gewesen sein musste, der ihn gehindert hatte, ihre Verabredung einzuhalten.
Über eine Brücke gelangten die beiden Spaziergänger in den kleinen Park, der links neben dem Herrenhaus lag. Der Wassergraben weitete sich hier zu einem größeren Teich, auf dem im Sommer die Seerosen schwammen. Jetzt war er von einer Eisschicht bedeckt, nur in der Mitte gab es noch ein freies Stückchen, und in dem bewegte sich das Schwanenpaar, das hier zu Hause war. Schließlich kehrten Hinrich und Hilde über einen schmalen Spazierweg zurück in den Hof. Wieder parkte eine Menge Autos vor dem Kavaliershaus, auch der Wagen von Tele 1 stand noch da, und vor dem Hauptportal staute sich die übliche Schlange von Zuschauern, die an der Lebouton-Show teilnehmen wollte.
»So ein herrliches Wetter! Das war ein richtig schöner Spaziergang. Aber jetzt freu ich mich auch wieder auf meinen Lehnstuhl.«
Hilde schloss die Haustür auf.
»Ja Vadder, ruh dich ein bisschen aus. Ich werd jetzt ein schönes Buch lesen. Und mit dem Mittag lassen wir uns noch Zeit nach unserem üppigen Frühstück.«
»Hilde! Wartest du bitte mal!«
Hilde, die ihrem Vater gerade ins Haus hatte folgen wollen, drehte sich um. Das war die Regieassistentin, die da mit einer Mappe unter dem Arm und einem Headset auf dem Kopf angelaufen kam. Ihr Name fiel Hilde jetzt nicht ein. Die junge Frau war völlig außer Atem, und es dauerte einen Moment, bis sie wieder sprechen konnte.
»Uff. Bin ich froh, dass ich dich hier treffe! Guten Morgen erst mal! Ich habe nämlich schon die ganze Zeit versucht, dich anzurufen«, japste sie und klopfte sich nervös mit der flachen Hand in Höhe der Bronchien auf die Brust. Ein kräftiger Husten ertönte. Hilde sah auf das Namensschild, das an dem blau-weiß-roten Band um ihren Hals hing.
»Hallo Grit! Wir waren ein bisschen spazieren. Was gibt’s denn?«
»Ich wollte dich eigentlich fragen, ob Pierre noch bei euch ist. Er hatte ja gestern gesagt, dass er später zur Aufzeichnung kommt. Aber jetzt ist es schon Viertel nach und er ist immer noch nicht aufgetaucht.«
»Ich habe Pierre heute Morgen noch gar nicht gesehen«, sagte Hilde überrascht und spürte, wie leise Besorgnis in ihr aufstieg.
»Ach du Scheiße! Was hat das denn zu bedeuten?«
Die Regieassistentin sah sich ziellos um, dann schaute sie zu Hilde. Sie schien völlig ratlos zu sein.
»Was machen wir denn jetzt?«, lamentierte sie. »Die Zuschauer stehen schon vor dem Studio und wollen rein. Sollen wir die jetzt wieder nach Hause schicken? Und wer entscheidet das? Wer übernimmt die Verantwortung?«
Die junge Frau war völlig aufgelöst.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße. Das bleibt alles wieder an der doofen Grit hängen. Mit der kann man das ja machen. Die ist ja so blöd. Oh Gott, was soll ich denn jetzt tun?«
Es fehlte nicht viel, und Grit heulte los. Das passte eigentlich gar nicht zu der jungen Frau. Hilde kannte sie zwar nur flüchtig, hatte sie aber im Umgang mit ihren Kollegen immer als recht resolut erlebt. Obwohl auch sie ihr Herz plötzlich wie wild klopfen spürte, bemühte sich Hilde um Gelassenheit und strich der Regieassistentin beruhigend über den Arm.
»Nun bleib mal ganz ruhig! Das kriegen wir schon hin«, sagte sie tapfer und sah suchend über den Hof, in der Hoffnung auf eine rettende Idee.
»Du hast gut reden«, jammerte Grit. »Wenn du wüsstest, wie der Chef manchmal drauf ist! Ich weiß jetzt schon, dass ich das wieder alles abkrieg,
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