Köhler, Manfred
aber auch Ideen dafür einholen konnte, wie er sich finanziell über die Runden retten könnte. Die Stellenanzeigen waren das Erste, was er durchsah, aber auch manches andere Inserat prüfte er, las jeden Artikel zumindest an, ließ sich keine Kleinanzeige entgehen. Auf seiner Ausbildung und Erfahrung angemessene Angebote stieß er dabei nicht, aber so recht war er darauf auch gar nicht aus. Eher suchte er etwas, das dem Sarburgerschen Bühnekehren gleichkam, eine Putzstelle in der Bücherei zum Beispiel, aber die war schon vergeben.
Sein forciertes Durcharbeiten der Wallfelder Rundschau brachte ihn schließlich auf eine ganz andere Idee, und die kam ungefragt. Ihm fiel auf, als er spaßeshalber die Zahl der Todesanzeigen mit der von Verlobungs- und Hochzeitsanzeigen verglich, dass in Wallfeld und Umgebung mehr Leute heirateten als verstarben. War der bundesweite Trend nicht andersherum? Wie auch immer, wer eine Hochzeitsfeier plante, war bereit, eine Menge Geld auszugeben, vor allem, wenn es darum ging, den großen Tag zu verewigen. Wie, so überlegte er mehr spielerisch, konnte er, Lothar Sahm, mit seinen Kenntnissen und Fertigkeiten in diesem Markt eine Rolle spielen? Wären die Brautleute bereit, ein paar Hunderter für eine professionell gemachte Hochzeitszeitung springen zu lassen? Der Gedanke reizte ihn. Andererseits war er so simpel und naheliegend, dass er gewiss schon mehr als einmal und in vielen Städten als Geschäftsidee in Angriff genommen worden war. Und wenn aus solchen Projekten etwas geworden wäre, hätte er davon gehört. Lothar Sahm verwarf den Plan, vergaß ihn, dann fiel er ihm wieder ein, wirkte lockend, wirkte allzu weit hergeholt, wirkte machbar, wirkte undurchführbar. Schließlich entschloss er sich, da die Idee nicht abzuschütteln aber auch nicht einzuschätzen war, jemanden zu fragen, der sich mit dem Thema auskannte. Rosa Guttler fiel ihm ein. Sarah fiel ihm ein. Dass er schließlich zum Hörer griff, war vor allem Einfall Nummer 2 zu verdanken: Zu Sarah hatte er nun schon so lange keinen Kontakt gehabt, dass er sich scheute, sie direkt anzumailen. Vielleicht war ja über die Tante etwas zu erfahren.
„Hallo, Herr Sahm“, rief Rosa Guttler in den Hörer, „ich bin gerade im Stress. Den ganzen Tag war noch keine Kundin da, plötzlich kommt eine samt ihrer Schwiegermutter, und gleichzeitig rufen auch noch Sie an, ist das nicht ulkig, uhuhuh. Ich rufe Sie gleich zurück!“ – Und grußlos hatte sie aufgelegt.
In der Stunde, die es dauerte, bis der Rückruf kam, hatte Lothar Sahm einen Einfall, der ihm seine Hochzeitszeitungs-Idee erst richtig lukrativ und schmackhaft machte, eine Art Kooperation: Er würde die Kunden, die er akquirierte, an die gute Frau Guttler weiter empfehlen, und sie würde alle ihre Kundinnen auf sein Angebot aufmerksam machen. Er musste ihr das gar nicht vorschlagen; kaum hatte er das Wort Hochzeitszeitung ausgesprochen, sprudelte sie los:
„Also, das ist doch seit Jahren meine Idee, es hört bloß dauernd niemand auf mich. Keine Frage, da sind wir einer Meinung, ich würde alle meine Kundinnen zu Ihnen schicken, die machen das schon mit, und dafür geben Sie mir kostenlose Anzeigen.“
„Äh, nun ja, Frau Guttler, ich bin eigentlich gar nicht mehr bei der Rundschau.“
„Das weiß ich doch, mein Lieber, ich meine Anzeigen in Ihrer Hochzeitszeitung. Gezielter kann man in meinem Geschäft gar nicht werben. Bei einer Trauung sind immer genug Gäste dabei, die auch vorhaben zu heiraten, und die Gäste bekommen natürlich alle eine Hochzeitszeitung als Andenken und sehen dann meine Anzeige, weil, so ein privates Erinnerungsblatt wird doch viel intensiver studiert als so was Anonymes wie die Rundschau. Sehen Sie, so einfach ist das. Am besten, Sie kommen sofort mal zu mir, ich habe da nämlich noch eine andere sehr famose Idee, Sie werden staunen...“ – Klick!
So oft er sie auch anrief, er würde sich nie an ihre Art gewöhnen, einfach grußlos aufzulegen. Man kam sich so abgewürgt vor.
Er machte sich sofort auf den Weg. Zum ersten Mal seit bald zweieinhalb Jahren betrat er ihr Geschäft. Und noch immer war ihm, als bräuchte er bloß durch zwei Türen ins Bügelzimmer zu gehen und würde dort Sarah treffen. Der Laden und seine Inhaberin, beide hatten sich kaum verändert. Im Laden, meinte er, drängten sich mehr Kleider als früher; die Inhaberin war behäbiger geworden, aber auch das konnte täuschen. Wie ein freudig gackerndes Huhn kam sie auf ihn
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