Köhler, Manfred
lebten und dachten die Menschen, wie gingen sie miteinander um? Wie sah es in ihren Häusern und Geschäften aus? Wie fühlte man sich als Auswanderer in diesem Land, vor allem, was kam alles auf einen Deutschen zu, der diesen Weg ging?
Es widerstrebte ihm, einfach die Klischeebilder aus Hollywoodfilmen und das bisschen an Fakten aus den Gesprächen mit Sarah zu übernehmen oder sich im Internet über Green-Card-Formalien zu informieren; er wollte aus eigenem Erleben heraus schreiben und im Idealfall mit Auswanderern sprechen, um seinen Roman mit Leben vollzupacken. An diesem Anspruch fraß sich die Geschichte ein weiteres Mal fest.
Wie ein Wink des Schicksals erschien es ihm, als Ende Februar Ellen Frey in die Redaktion geschneit kam. Seit dem Treffen im Guttlerschen Geschäft, das sie grußlos verlassen hatte ohne zurückzukommen, hatte er keinen Kontakt zu ihr gehabt. Nun stand sie plötzlich neben dem Küchentisch, der sein Arbeitsplatz war.
„Hi, kann ich mal stören?“
Ihre glatten blonden Haare verbreiteten sich auf einer schwarz-rot karierten Winterjacke, die sie über einem grün-blau karierten Holzfällerhemd trug, dazu knallenge ausgebleichte Jeans und Wanderstiefel. Sie streckte ihm die Hand entgegen. So sehr er sich über ihren Besuch freute, ihr schraubstockartiger Händedruck trübte das Wiedersehen erheblich.
„Die Hochzeitsbeilage war ja super, danke dir dafür.“
„Freut mich“, sagte er und überprüfte seine gequetschte Hand mit Fingerspielen auf ihre Funktionstüchtigkeit. Ellen hockte sich mit einer Hälfte ihres schmalen Hinterns auf seinen Küchentisch-Schreibtisch und ließ das Bein baumeln.
„Ich habe einen Verlagsauftrag für Kanada bekommen, Fotos für einen Kalender machen, der dann europaweit erscheint. Und drüben hab ich einen Begleitauftrag für Postkarten. Ich habe da einfach mal was vorbereitet...“
Sie zog aus ihrer Hemdtasche ein Porträtfoto von sich und einen gefalteten Zettel. In ihrer leicht nach hinten geneigten Handschrift stand da:
Frau zum Mitreisen gesucht
Die bekannte Wallfelder Fotografin Ellen Frey ist im Aufwind. Für einen europaweit erscheinenden Hochglanz-Kalender über den Westen Kanadas soll sie die Fotos liefern. Ein international renommierter Verlag schickt sie dafür im Juni auf eine vierwöchige Reise von Vancouver bis hoch nach Whitehorse in der Provinz Yukon. Für diese Reise sucht Ellen nach einer Begleiterin, um Kosten für Mietwagen und Übernachtung zu halbieren. Abenteuerlustige Frauen, die mit den Augen einer Fotografin den Westen Kanadas hautnah erleben wollen, können direkt an die Wallfelder Rundschau schreiben oder anrufen, Stichwort Ellen Frey.
Vancouver – fand man das nicht gleich neben Seattle?!
„Das mit den Postkarten muss man nicht unbedingt erwähnen“, meinte sie, als er fragend zu ihr aufschaute, „die erscheinen ja nur drüben in Kanada.“
Ihm lag aber eine ganz andere Frage auf der Zunge, ganz abgesehen von einigen Anmerkungen zum Text.
„Muss es denn unbedingt eine Frau sein, ich meine, könnte nicht auch ein Mann als Reisegefährte...?“
Ellen schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen.
„Nein, kein Stress mit Männern. Nichts gegen dich oder Männer allgemein...“
Wieso gegen mich?, fragte er sich.
„...aber ich will da keine falschen Erwartungen wecken. Das wird eine Arbeitsreise, darüber muss sich auch die teilnehmende Frau im Klaren sein.“
„Na ja, wie auch immer, es ist nur...“
„Oder sollen wir lieber die Campingplatz-Adresse als Kontakt hinschreiben? Ich habe aber kein eigenes Telefon.“
„Genau das ist es, also, so wie das da verfasst ist, kann ich das nicht bringen, das wäre eher was für eine zu groß geratene Kleinanzeige, und die müsste aber leider bezahlt werden.“
Sie zog eine Schnute.
„Aber die ganze Geschichte lässt sich auch anders aufziehen, ein paar Änderungen und Ergänzungen, das wäre doch gelacht. Ich wollte auch immer schon mal nach Amerika...“
Ellen ging darauf nicht ein. Sie nahm ihr Gesäß von seinem Tisch, lächelte und streckte ihm die Hand hin. Er schluckte.
„Du wirst das schon machen.“
Und er machte es sogar mit besonderem Eifer. Er stellte den Kalender-Auftrag in den Mittelpunkt, der war schon wirklich was Besonderes für eine Bürgerin einer Stadt wie Wallfeld. Aus seinem Artikel vom letzten Sommer zog er sich noch einige Details aus Ellens Lebenslauf: kurz vor dem Abitur die Schule geschmissen und auf Fahrrad-Fototour
Weitere Kostenlose Bücher