Köhler, Manfred
Christbaumschmuck, und das war gut so, jetzt konnte er den ganzen Kram gleich auf Sarahs Geschmack hin kaufen.
Am Montag allerdings meldete sich Steffi mit Schnupfen krank, er kam weder tagsüber zum Einkaufen noch hätte er abends Zeit gehabt, denn Steffis Nachtdienst ging der Reihenfolge nach auf Mandy über, und die wälzte ihn prompt mit Hinweis auf den OB-Umtrunk auf ihn ab, Vertrag war schließlich Vertrag.
Am nächsten Abend hatte er bereits ihren regulären Dienst am Hals, am Mittwoch war er selbst dran, blieb nur der Donnerstagabend für ein vorweihnachtliches Treffen mit Sarah.
Als er anrief, um ihr diesen Termin vorzuschlagen, drang er gar nicht zu ihr durch. Rosa Guttler bedauerte sehr, aber für diesem Abend habe man sich Großputz und Baumschmücken vorgenommen, man erwarte die halbe Verwandtschaft zu den Feiertagen und sei noch zu überhaupt nichts gekommen, ganz zu schweigen die viele Arbeit im Geschäft: Die neue Kleiderkollektion aus Italien sei ausgerechnet heute geliefert worden, müsse nun aufgebügelt und ausdekoriert werden, viele Leute gingen ja gern auf Schaufensterbummel über die Feiertage, aber wohin nur mit den Restbeständen, noch nie habe sie ein größeres Lager dringender ersehnt. Ach, und bei dieser Gelegenheit, der Interviewtermin müsse natürlich auch verlegt werden, wann hatte er eigentlich noch mal vorbeikommen wollen, na ja, nach neuestem Stand am besten frühestens in der ersten Woche nach Neujahr. Leider, leider, sie sage ihm ungern ab, und das gleich doppelt, aber Sarah freue sich dafür schon sehr auf den Ausflug am Samstag. Landkreisfahrt, uhuhuh, das klinge ja spannend.
So beschäftigt Lothar Sahm in diesen Vorweihnachtstagen war, so viele Gelegenheiten fand er, an Sarah zu denken, sie zu vermissen, sich auf den Samstag zu freuen. Doch auch unabhängig von ihr fühlte er sich endlich wieder so richtig in seinem Leben zu Hause. Mit Walters Erlaubnis bemächtigte er sich der sogenannten Redaktionsbibliothek, die nichts anderes war als ein überdimensionaler Tisch, auf dem, seit Jahren ungeordnet, alte Zeitungen, Lexika und Fachbücher wüst durcheinandergestapelt und größtenteils aufgeschlagen vor sich hinstaubten. Zwei Mittagspausen lang ordnete er Bücher und Zeitungen in Regale und legte den Tisch darunter frei. Diesen klobigen alten ehemaligen Küchentisch rückte er sich in ein freies Eck, trug darauf seine Büro-Utensilien zusammen und platzierte in der Mitte seinen neuen Laptop. Endlich hatte er wieder einen eigenen Arbeitsplatz, sogar mit Internet-Anschluss.
Am Tag vor Heiligabend schaffte er es, in einem Kaufhaus fünf Packungen knallbunter Christbaumkugeln verschiedenster Variationen samt sonstigem Zubehör zu erstehen. Am Abend wollte er die Tanne aus dem Keller holen, sie schmücken und Sarahs Geschenk darunter stellen, obgleich sie es ja nicht in seinem Haus in Empfang nehmen würde. Er wollte ihr das Wetterhäuschen zur Landkreisfahrt mitbringen. Frohe Weihnachten wünschen wollte er allerdings gleich. Er wählte die Nummer des Brautmodengeschäftes – und erreichte eine bis zur derben Unfreundlichkeit gestresste Rosa Guttler.
„Tut mir leid, Herr Sahm, ich habe jetzt keine Zeit für Sie. Das Kind ist gestern nach Amerika zurück, von einer Stunde zur anderen, und jetzt stehe ich allein mit der ganzen Arbeit da und auch noch Kundschaft, ich kann jetzt wirklich nicht!“
Am Abend rief sie ihn zu Hause an und entschuldigte sich.
„Ich bin sehr enttäuscht, und, ach wissen Sie, auch verärgert. Nicht dass Sie denken, ich könnte das Kind nicht verstehen, Weihnachten so weit weg von zu Hause, und ihr geht das Fest ja über alles, sie hat die letzten Tage nur noch geweint vor Heimweh, aber einen so im Stich zu lassen! Sogar heimlich gepackt hat sie, ich habe alles erst kurz vorher erfahren, und schon war sie weg.“
Er hörte schweigend zu. Sie hatte ihn nicht einmal angerufen, um sich zu verabschieden, und das hatte wohl auch seinen Grund. Für ihn war damit klar, welche Qualität dieses Heimweh gehabt hatte. Es war wohl vor allem auf einen gewissen Medizinstudenten ausgerichtet gewesen.
„Sie lässt Sie übrigens schön grüßen. Sie wäre gerne mitgekommen zu dieser Fahrt am Samstag. Sie sollen ihr doch mal schreiben, hat sie gesagt. Wenn Sie nach Neujahr zum Interview zu mir kommen, gebe ich Ihnen die Adresse.“
Der Ton, in dem Rosa Guttler die Grüße bestellte und zum Schreiben aufforderte, machte ihm deutlich, wie wenig sie darüber
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