Köhler, Manfred
einem Nikolaus für Schnee, ihr barometrisches Wechselspiel vollführten die beiden Figuren auf einem alpenländischen Balkon mit winzigen Blumenkästen. Das war kitschig genug für Sarahs Geschmack und hinreichend funktional für den seinen – sofern, woran er ein bisschen zweifelte, das Wetter auch korrekt angezeigt wurde. Er schaffte es, das Häuschen zu kaufen und unter seinem Mantel verschwinden zu lassen, ohne dass die staunend und kindlich-entzückt sich in Christbaumkugeln spiegelnde Sarah etwas davon mitbekam.
Lothar Sahms persönlicher München-Besuchsplan sah vor, nach einem ausgiebigen Bummel über den Weihnachtsmarkt in einem der besseren Lokale einzukehren. Vielleicht hätte der Abend in einem besonderen Rahmen auch einen besonderen Verlauf genommen. Leider wurde Sarah durch fortgesetztes Lebkuchenmampfen derart übel, dass an ein Abendessen nicht zu denken war. Auch in der S-Bahn oder im Auto herumgeschaukelt zu werden, hätte ihr Magen nicht vertragen, und so verließen sie den Weihnachtsmarkt und spazierten durch die Nebenstraßen der Münchner Innenstadt. Ihn überkam die Vorstellung der Klischeehandlung, sie, als leidenden Menschen, in den Arm zu nehmen, und bei dem Gedanken fühlte er sich ein bisschen mehr als nur tröstend zu ihr hingezogen.
Als es ihr nach einigen Kilometern Schneematschtreten etwas besser ging, bedachte sie ihn, derweil sie eigentlich eine weihnachtliche Schaufensterauslage besahen, mit heimlichen Blicken von der Seite, was ihm keineswegs entging. War nicht auch ihre Hand viel näher an der seinen, als es ein leidliches Befreundetsein erlaubt hätte?
Er entschloss sich soeben, einfach mal auszuprobieren, wie weit er gehen konnte, wollte ihre Hand wie zufällig berühren, Handrücken an Handrücken zunächst, da hatte sie etwas im Schaufenster entdeckt, das sie stutzig machte, etwas, das sie ihn dauernd schon hatte fragen wollen:
„What means un-ver-bind-li-che Preis-em-pfeh-lung?“
Während der S-Bahn-Fahrt zurück zum Auto konnte sich Sarah köstlich dabei amüsieren, den neuen Zungenbrecher einzuüben, Tante Rosl würde staunen – derweil Lothar Sahm, in seiner Berufsehre herausgefordert, darüber nachgrübelte, ob das Wortungetüm in seiner Existenz zu rechtfertigen sei oder ob nicht tatsächlich, wie Sarah meinte, das simple Dollar- beziehungsweise Euro-Zeichen die gleiche Funktion erfüllte. Auf der Autobahn, sie waren eine Weile schweigend durch die Nacht gefahren, und er rechnete nicht mehr mit einer romantischen Wendung des Ausflugs, spürte er eine Berührung an seiner rechten Seite. Sarah hatte ihren Kopf an seine Schulter gelegt. Er wollte schon nach ihrer Hand greifen – da fiel ihm auf, dass sie nur eingeschlafen und in sich zusammengesunken war.
Er vermied jede Bewegung, um sie ja nicht zu wecken. Fast eine halbe Stunde lang, bis sie von selbst aufwachte, genoss er den Duft, der von ihrem Haar zu ihm aufstieg, und den sanften, warmen Druck ihres Kopfes an seinem Arm. Er kostete diese erste Berührung so restlos aus, als hätte er bereits geahnt, dass es für lange Zeit die letzte sein würde.
Am nächsten Tag rang er sich zum längst fälligen Hausputz durch. Vom Keller bis hinauf in sein spitzes Arbeitszimmer fegte und saugte er jede Ecke, er taute, erstmals seit Jahren, den Kühlschrank ab und reinigte jedes Fach darin; nicht mal Spinnweben im Schuppen und im Dachgebälk ließ er durchgehen. Die nächste Verabredung mit Sarah war die Landkreisfahrt am ersten Weihnachtsfeiertag - erst in einer Woche! Als er sie in der Nacht zuvor am Haus ihrer Tante abgesetzt hatte, war sie es gewesen, die diesen Termin allzu fern fand und ihn aufforderte, sie doch bald anzurufen, vielleicht war ja vor Heiligabend noch ein Treffen möglich. Schon ausgestiegen, fragte sie ihn noch, wo er eigentlich wohne. Das einer Ortsunkundigen zu beschreiben, wäre ihm selbst auf Deutsch schwergefallen, deshalb schlug er kühn vor, ihr sein Haus zu zeigen, was sie freudig annahm. Nur daher diese Putzorgie den ganzen Sonntag lang.
Am späten Nachmittag fällte er eine der Tannen, die er vor Jahren als Sichtschutz entlang des Zaunes gepflanzt hatte, viel zu dicht, wie sich bald herausgestellt hatte, schüttelte ihr den Schnee von den Nadeln und ließ sie im Keller abtropfen. Am liebsten hätte er den Baum gleich geschmückt, aber da ihm das in den Jahren davor immer zu mühselig gewesen war, vor allem beim Gedanken ans Abschmücken nach den Feiertagen, besaß er keinen
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