Köhler, Manfred
entgegengehalten, dass es wohl ganz andere Gründe für diese Degradierung gab als die Angst davor, einen guten Anzeigenkunden einzubüßen. Das war ohnehin eine leere Drohung, denn es gab kein anderes ernstzunehmendes Printmedium, auf das die Münner-Werke als Werbeträger hätten ausweichen können. Nein, verehrter Herr Crähenberger, wäre dieser triefäugige Fabrikdirektor neben Ihnen nicht Ihr Logenbruder, Ihr Golfkamerad und der Schwiegervater Ihrer Tochter, wir wären jetzt wohl kaum hier versammelt.
Es war Lothar Sahm unmöglich, so zu reagieren, ausgeschlossen in Gegenwart Dr. Kasemirs. Aber schweigend entgegennehmen wollte er das Urteil auch nicht. Er war sich keiner Schuld bewusst. Zu seinem Mentor gerichtet, aber nur zu ihm, sagte er, dass es ihm sehr leid tue, und meinte damit Crähenbergers Schachzug, den greisen Verlagsleiter, der sonst kaum noch in den Geschäftsalltag eingriff, in die Sache hineinzuziehen.
„Nehmen Sie mir das nicht übel, Herr Dr. Kasemir, aber Sie sind einseitig über den Fall informiert. Gerangel ist wirklich eine starke Untertreibung für das, was bei diesem Pressetermin vor sich ging.“
„Also, das ist doch ...!“, wollte Crähenberger losschimpfen. Dr. Kasemir brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
„Ganz egal, was da vor sich ging, Sie waren zu diesem Termin eingeladen, um über die neuen Trikots zu berichten, über sonst nichts.“
„Ich dachte immer, meine Aufgabe ist es auch, den Leser über Zusammenhänge zu informieren, in die er ansonsten keinen Einblick hätte. Schließlich sind wir kein Anzeigenblatt, sondern eine unabhängige Tageszeitung.“
Dr. Kasemir schüttelte energisch den Kopf.
„Was bringt es dem Leser, dass er jetzt von irgendwelchen Unstimmigkeiten weiß? Ist damit der Sache gedient? Ändert das irgend etwas am Erscheinungsbild der Trikots? Nein, denn darüber war längst entschieden. Der Vorstand dieses Vereins hätte sich auch einen anderen Sponsor suchen können. Sie aber haben durch Ihre einseitige Parteinahme dem Ansehen der Münner-Werke und natürlich auch dem des Vereins geschadet. Denken Sie darüber mal nach. Bei unserer Zeitung soll bestimmt nichts vertuscht werden, aber es sollen auch keine belanglosen Unstimmigkeiten und dummen Sturheiten zu Skandalen aufgeblasen werden. Und jetzt gehen Sie bitte, keine weiteren Diskussionen. An Ihrem neuen Arbeitsverhältnis können Sie ohnehin nichts mehr ändern. Sie können es allenfalls noch verschlechtern.“
Erhobenen Kopfes, aber im Bauch ein Getümmel widersprüchlichster Gefühle verließ Lothar Sahm den ersten Stock. Am liebsten hätte er sich ins Auto gesetzt, wäre irgendwohin gefahren und nie mehr wiedergekommen.
Aber es war noch nicht vorbei. Kaum war er zurück in der Redaktion, richtete Walter ihm aus:
„Die Frau Siebl will dich gleich mal sprechen. Du weißt ja, dass du ihr jetzt direkt unterstellt bist, nicht mehr mir. Übrigens, hhkkmmhh – tut mir leid, wirklich. Ich konnte nichts dagegen machen.“
„Ich weiß. Also auch noch die Czibull...“
Ihr wollte er nicht das Wort überlassen. Er klopfte und trat ein, ohne ihr „Herein!“ abgewartet zu haben. Es war das erste Mal seit Monaten, dass er diesen Raum wieder von innen sah. In dem einstigen Nichtraucherbüro war die Luft durchdrungen von einer stechenden Mischung aus kaltem und heiß aus der Glut aufsteigendem Zigarettenqualm. Liane Czibull saß vor ihrem Computer und ließ sich Zeit, erst ihren Satz zu beenden und noch einmal einen gierigen Lungenzug zu nehmen, bevor sie sich ihm zuwandte.
„Da muss man dann wohl gratulieren“, sagte er gezwungen freundlich. „Haben Sie es endlich geschafft, mich abzuschießen.“
„Nein“, antwortete Liane Czibull und lächelte mild. Diese angedeutete, kaum wahrnehmbare Ausrichtung ihrer Mundwinkel nach oben war das erste echte Lächeln, das er in ihrem verbiesterten Gesicht zu sehen bekam. Er suchte Triumph darin, aber fand zu seinem Erstaunen eine Art Offenheit, sogar eine gewisse Freundlichkeit.
„Ich habe Sie drei Mal angeschossen, abgeschossen haben Sie sich selbst. Aber ich muss sagen, meine höchste Sympathie dafür.“
Er meinte, nicht richtig zu hören.
„Wissen Sie, ich hielt Sie für den typischen duckmäuserischen Lokalredakteur in halbverantwortlicher Position, der weiter nach oben will und daher jedem nach dem Mund schreibt, aber das sind Sie nicht, in Ihnen spürt man auch eine gewisse Verantwortung dem Beruf gegenüber. Ihre kleine
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