Köhler, Manfred
abgesägt.“
„Aber wieso?“, fragte Ellen empört, und er fragte sich seinerseits, ob ihre spontane Entrüstung vor allem auf den Nachteil zurückging, der ihr selbst aus seinem Kompetenzverlust erwuchs.
„Ach, da ist was ganz blöd gelaufen, das führt jetzt zu weit, vielleicht erzähle ich dir das ein anderes Mal, jedenfalls...“
Er lauschte eine Weile dem Küchenlärm im Hintergrund und Ellens Atem. Sie ließ ihm Zeit.
„Weißt du, ich würde am liebsten abhauen, weit weg, irgendwohin. Wenn man das nur so einfach könnte.“
Wieder schwieg er kurz in den Küchenlärm hinein.
„Nimmst du mich mit nach Kanada?“
So schüchtern seine Frage klang, so frech kam ihre Antwort:
„Na ja, wenn sich diesmal wieder keine gemeldet hätte, dann hätte ich dich sowieso gefragt.“
„Pah, vierte Wahl bin ich also immerhin!“, prustete er mit gespielter Verärgerung. Ellen lachte.
„Nein, war nur Spaß. Ich wollte zwar keinesfalls mit einem Mann fahren, aber dir kann ich, denke ich, schon trauen – oder? Hast du eine Freundin zur Zeit?“
„Nicht direkt. Kommt jetzt so was wie eine Gesinnungsprüfung?“
„Ja. Auf welche Art Abenteuer bist du aus?“
„Was ist denn das für eine Frage?“
„Ich meine es ernst. Das wird eine Arbeitsreise, dem muss sich alles unterordnen. Wir sind nur Kumpels, versprichst du mir das?“
„Klar.“
„Das klingt nicht sehr überzeugend! Du, mein Geld fällt durch, dieses blöde alte Telefon! Besuch mich morgen mal im Camper, ich...“
„Was? Wann denn?“
Die Verbindung war abgebrochen. Er legte auf.
Kanada!
Während sie fotografiert, dachte er sich, schreibe ich am Laptop, ganz unter dem Eindruck dieses weiten, wilden Landes, meinen Roman. Und wenn alles gut läuft, dann haue ich danach den Krempel bei der Rundschau hin! Czibull und Crähenberger adieu!
Er rollte sich in seinem Sessel zusammen. Vielleicht würde bei der Reise sogar ein Abstecher nach Seattle drin sein...
Kapitel 5: Reisefieber
Eigentlich wollte Lothar Sahm am nächsten Tag erst nach der Arbeit bei Ellen auf dem Campingplatz vorbeischauen. Aber er war sich nicht sicher, ob er ihr Wohnwägelchen bei Dunkelheit noch finden würde. Außerdem war er viel zu neugierig, um so lange warten zu können, also zog es ihn gleich in der Mittagspause zu dem kleinen Baggersee am Wallfelder Stadtrand, an dem der Campingplatz verkehrsgünstig, aber trotzdem ruhig und versteckt angelegt war.
Die Czibull hatte ihm von sich aus angeboten, die Mittagspause nach Belieben auszudehnen, sofern er abends etwas länger zu bleiben bereit war, um im Anschluss an die Polizei-Pressekonferenz noch den Aufmacher für die Titelseite der kommenden Ausgabe zu liefern, die Leichen-Story Teil 2. Seine Recherche-Ergebnisse vom Vormittag hatten sie entzückt. Die Geschichte wurde immer mysteriöser. Inzwischen sprach alles dagegen, dass der Mann durch äußere Gewalt gestorben war, und in seinem Blut waren auch keine Spuren von Giften oder Schlafmitteln gefunden worden. Aber Selbstmord durch Ertrinken in einem seichten, an dieser Stelle kaum 20 Zentimeter breiten Rinnsal? Liane Czibull war Feuer und Flamme. Endlich bot diese langweilige Kleinstadt mal einen richtigen Krimi! Sie bereute, die Story abgegeben zu haben.
Lothar Sahm stellte seinen kleinen Stadtflitzer auf dem Besucherparkplatz des Campingplatzes ab und folgte den Schlangenlinien des Fußweges entlang der terrassenförmig angelegten und um diese Jahreszeit überwiegend verwaisten Stellplatz-Gruppen. Ellens Abschnitt war weit hinten oben irgendwo links. Warm schien ihm bei seinem kleinen Spaziergang die Sonne auf den Rücken. Auch die letzten Schneeinseln im Schatten saßen in selbst hervorgebrachten Wasserpfützen und rannen davon. Diese ersten Märztage rochen so moosig nach Frühling. In diesen Tagen, bei diesem Wetter, in dieser Stimmung hätte er sich durchaus vorstellen können, hier zu leben.
Ellens Wohnwagen musste er nicht lange suchen. Er sah sie von Weitem davor herumwuseln, sie trimmte ihr Gärtchen auf Frühling, ihr kleines Zwergenreich. Kinderfotos waren ihre einträglichste Honorarquelle. Sie waren eines der letzten Segmente aus ihrer Zeit als Geschäftsfrau, die sie in ihr Künstlerleben hinübergerettet hatte, sie besetzte damit eine Marktlücke. Von überallher kamen Familien auf den Wallfelder Campingplatz, um ihre Kinder als Zwerglein verkleidet in Ellens Zauberwald fotografieren zu lassen, den sie neben ihrem Camper aus gestutzten Bäumchen,
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