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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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Man überquerte in wenigen Stunden ganze Ozeane, die gewohnte Zeit verschob sich dabei, und man erreichte die andere Seite der Welt, ein ganz neues und anderes Leben!
    Als ihn schließlich die Müdigkeit einholte, wurde Ellen munter. Sie verschwand. Grußlos, einfach so. Wie damals im Hochzeitsladen. Er war kurz eingedöst. Als er aufwachte, war sie weg. Das Einsteigen rückte näher, sie kam nicht. Ihre Platznummern kamen an die Reihe, er wusste nicht, was tun, wollte sie schon ausrufen lassen, da kam sie um die Ecke.
    „Mensch, endlich, wo warst du denn?“
    „Bloß mal umschauen“, antwortete sie fröhlich und schnappte sich ihr Handgepäck.
    „Das war echt knapp. Ich hätte jetzt nicht gewusst, was ich machen soll.“
    „Nur die Ruhe, ich bin ja da.“
    An Bord des Jumbos ließ sich Ellen drei Zeitungen auf einmal geben, bot ihm ihren Fensterplatz an und langweilte ihn damit, wie sie es geschafft hatte, mit dem Unwohlsein ihres ersten Transkontinentalfluges fertig zu werden, ohne auf gewisse Tütchen zurückgreifen zu müssen, vielleicht konnte ihm das von Nutzen sein für den Fall, dass...
    Es dauerte und dauerte bis zum Start. Ellen vertiefte sich mit großem Geraschel in ihre Zeitungen, während er sich Notizen machte: über das Einsteigen und Platznehmen, wie jeder Passagier sich auf seine Weise mit dem Eingepferchtsein auf den viel zu engen Sitzen arrangierte; sein eigenes Neandertaler-Revierverhalten, das sofort einen wütenden Salto schlug, als es sein Vordermann wagte, ihm sein beengtes Plätzchen durch Schrägstellen der Lehne weiter zu beklemmen, und das auch noch ohne zu fragen; die Begrüßung an Bord, der Lehrfilm darüber, wie man die Schwimmweste handhabte...
    „Was schreibst du denn da eigentlich alles auf?“, wollte Ellen wissen.
    „Och, nur wie ein Flug so abläuft. Vielleicht kann ich das mal in einer Geschichte brauchen.“
    „Das ist aber doch immer das Gleiche.“
    Er seinerseits verstand nicht, wie Ellen Zeitung lesen konnte in den letzten Minuten vor dem Start, wo es doch so viel zu erleben gab. Der Jumbo rollte mit wippenden Tragflächenspitzen um enge Kurven, ruhte kurz und sammelte Kräfte, die Turbinen steigerten ein sirrend-pfeifendes Dröhnen, ein durchdringendes Vibrieren – Ellen studierte ungerührt eine Analyse zum Thema anhaltende Aufwärtstendenz der globalen Aktienmärkte. Wahnsinn, wie dieser tonnenschwere und doch so zerbrechliche Metallkoloss mit den vielen Menschen und Koffern im Bauch über die Piste raste, und dann der Moment, in dem er sich von der Erde löste, für Lothar Sahm war das ein Augenblick der Befreiung, als sei aller Alltagsärger für immer als bedeutungslos durchschaut. Er starrte hinab auf Wälder und Straßen, unfassbar, wie rasch der Jumbo an Höhe gewann, die Welt verkleinerte sich in Sekunden zur lebenden Landkarte und verschwand im Dunst. Gebannt verfolgte er die Anzeige auf den Bildschirmen. So steil stieg man, und doch dauerte es so lange, bis die Reiseflughöhe erreicht war, diese gewaltige Leere zwischen Flugzeug und Erdoberfläche war nicht zu begreifen. Endlich pendelte die Höhenangabe um einen Mittelwert, dazu im Wechsel geschätzte Ankunftszeit, noch zurückzulegende Meilen beziehungsweise Kilometer, Außentemperatur: Er hielt alles auf seinem Schmierblatt fest.
    Schon bald schlief sein akribisches Vermerken ein. Das erste Getränk, er wählte eine Cola; Weichheit und synthetischer Geschmack der ersten Mahlzeit, der erste Videofilm, all das war noch eine Notiz wert, dann war die Sensation des ersten Fluges auch schon Routine. Er döste, versuchte zu lesen, langweilte sich, fand das Eingesperrtsein auf einmal verstörend, weil es die freie Wahl der Alltagsgestaltung einschränkte und nur zu entscheiden gestattete zwischen lesen, Musik hören, Video schauen, essen – Beschäftigungen, denen er bald überdrüssig war. Wie Ellen es nur fertigbrachte, in dieser halb aufrechten Haltung zusammengefaltet stundenlang fest zu schlafen und übrigens, oje, laut pfeifend zu schnarchen!
    Beim Anflug auf Seattle überkam ihn eine Stimmung der Schicksalsergebenheit. Irgendwo da unten in einem der Zehntausende von Häusern unter Grauschleiern und Regen saß Sarah vielleicht gerade über ihrem Abendessen, aber schon allein die Gegebenheiten und Prozeduren des Flughafenbetriebes würden eine sofortige Begegnung verhinderten: das Warten in der Schlange zum Aussteigen, endlose Wege, Warten aufs Gepäck, endlose Wege, Warten auf die

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