Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
Vom Netzwerk:
übernachten? Er schaute sich um. Ein Wunder, dass Ellen selbst in dieser Enge Platz fand. Er war froh, eine Ausrede zu haben.
    „Ich habe noch gar nicht gepackt. Ich wollte dich fragen, ob ich was Bestimmtes brauche.“
    Ellen riet ihm, in eine kleine Reisetasche Kleidung für ein paar Tage und eine zusammengefaltete große Reisetasche zu packen.
    „Klamotten sind da drüben halb so teuer wie hier, da kannst du dich für ein paar Euro eindecken. So mache ich es, schau...“
    Sie zeigte ihm ihre ausgehungerte Reisetasche. Als sie das Gepäck zu seinem Auto trugen, spürte er eine tiefe Erleichterung darüber, noch einmal in seinem eigenen Bett übernachten zu können. Aber warum nur? Wirklich nur wegen der Enge? Er hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, wie es sein würde, vier Wochen lang als einzigen Menschen sie um sich zu haben, auf engstem Raum, Tag und Nacht. Ohne Zuflucht, wenn ihm einmal danach sein sollte, allein mit sich zu sein, so wie jetzt in diesem Augenblick.
    Und noch etwas stellte er als Stimmung in sich fest: So sehr er sich auf diese Reise freute, es fiel ihm doch schwer, sich auf den Aufbruch einzulassen. Diesen ersten Schritt zu tun in etwas völlig Unbekanntes – noch nie war er geflogen, noch nie hatte er seinen Kontinent verlassen, noch nie war er auf Reisen gegangen mit jemandem allein aufgrund einer sachlichen Vereinbarung –, sich zu lösen aus den sicheren Gleisen seiner Gewohnheiten, so stellte er es sich vor, dem Tod ins Auge zu schauen.

Kapitel 6: Die andere Seite der Welt
     
    Um vier Uhr klingelte sein Wecker. Sein Reisefieber hatte ihn wachgehalten bis kurz nach zwei, dementsprechend bohrte es in seinem Kopf, zog es in seinem Bauch, war er geistig neben sich. Alles Gepäck stand griffbereit. Er hatte nicht, wie empfohlen, spärlich, sondern überreichlich gepackt. Auf Kaffee verzichtete er, immerhin hatte er um 4.30 Uhr schon bei Ellen zu sein. Ein letzter Blick in sein Wohnzimmer und durch die Terrassentür in seinen Garten, den er in einem solchen Morgenlicht, vernebelt und trübgelb, nicht kannte. Sein Besitz schien ihm, als sei er seit Jahren verwaist, alles war so aufgeräumt und erstarrt, so ohne Hinweis auf menschliches Leben. Das berührte ihn seltsam, weil dieser Garten und dieses Haus für ihn einen großen Teil des Bildes ausmachten, das er von sich selbst hatte.
    So schwer er sich von seinem gewohnten Umfeld lösen konnte, so fremd es ihm anmutete, am Rande eines schweigenden Campingplatzes eine Frau aufzunehmen, die er nur leidlich kannte, um mit ihr wochenlang aufs Unmittelbarste zusammen zu sein, ohne dass Erotik ins Spiel kommen durfte; so sehr sich dieses Gefühl verstärkte, als er mit seinem blonden, karierten, alles andere als munteren und redseligen Fahrgast auf die Autobahn einbog, dieses Gefühl: Das ist doch nicht richtig, was ich hier mache, so etwas passt doch nicht zu dem ereignislosen Leben, das ich zu führen gewohnt bin – so unvermutet packte ihn die Begeisterung, als er im Großraum Frankfurt den ersten Jumbo wuchtig und zum Greifen nah direkt vor sich über die Autobahn schweben, schwer sinken und zum Landen ansetzen sah.
    In den futuristischen Labyrinthen der Flughafenanlagen fühlte er sich, als seien die haushohen Hallen und verschachtelten Gänge nach seinem Geschmack und allein für ihn gebaut worden, und dann auch noch S-Bahn fahren, um innerhalb eines Gebäudekomplexes voranzukommen, so gigantisch war hier alles! Er las jedes Hinweisschild und jede Anzeigetafel, sah jedem Menschen ins Gesicht, kam dadurch kaum hinter der zielstrebig-uninteressierten Ellen her. Nicht genug kriegen konnte er vom Vorgang der Röntgenkontrolle, leider war bei dem hohen Abfertigungstempo keine Gelegenheit, einen der Kontrolleure über seinen Beruf auszufragen; er drehte sich nach allen Stewardessen um, die, meist zu zweit, dunkelblau uniformiert, mit Hütchen und den Abzeichen ihrer Gesellschaften, ihre Köfferchen an ihm vorbeizogen, wo die schon überall gewesen sein mochten und wohin sie wohl heute starteten; und vor allem staunte er, als sie endlich eingecheckt hatten und die mundfaule Ellen doch glatt, kaum niedergelümmelt auf einer Stuhlreihe des Warteraums, auch schon wegpennte, er staunte durch die Fensterwände die Jumbos draußen auf den Rollfeldern an. Wie man sie rangierte an ihren stumpfen, wuchtigen Nasen, wie man ihren Bauch aufklappte und sie belud, wie man sie zum Einsteigen an die Gebäude koppelte, was für Wundergeräte waren das doch:

Weitere Kostenlose Bücher