Köhler, Manfred
zögerndes „Ja!“ am anderen Ende, ein Klicken, dann eine zweiminütige Pause, kurzweilig gestaltet mit dem Warteschleifentext: „Ihre Verbindung wird gehalten, Ihre Verbindung wird gehalten...“ Schließlich wieder die Stimme der Sekretärin: „Der Herr Direktor ist für einen Augenblick außer Haus. Wollen Sie bitte warten?!“ Schüchtern wagt der Angerufene eine Zwischenfrage: „Was will denn der Herr Direktor überhaupt von mir?“ – „Das müssen Sie ihn schon selbst fragen!“ Es klickt erneut, dauert wieder eine Weile, den Warteschleifentext kennt man inzwischen auswendig; dann wird abgehoben: „Birner“, meldet sich der Partner des Direktors. „Hier Haderbauer. Ich wollte eigentlich den Herrn Direktor Stengel...“ – „Der ist gerade nicht hier. Was wollen Sie denn?“ - „Das weiß ich nicht. Der Herr Direktor hat mich anrufen lassen.“ – „Ach so, Moment, ich verbinde Sie mal zur Pforte.“ – „Halt, nein, vielleicht können Sie mir...!“ Da hat es auch schon geklickt.
Es dauert eine ganze Weile, bis sich herausstellt, dass der Herr Stengel eigentlich einen Herrn Haberdauer hatte sprechen wollen. Doch das macht nichts. Ohne auch nur eine kostbare Sekunde am Telefon verschwendet zu haben, hat der Direktor seine Aura wirken lassen auf einen bescheidenen Mann, dessen Herz fortan voll Ehrfurcht ist vor dem Zwei-Mann-Betrieb Grabgebinde und Trauerschleifen AG Stengel und Birner. LS
„Dieser Mistkerl!“, fluchte Andreas Crähenberger und schleuderte die Zeitung auf den Boden.
„Du regst dich auf“, stellte seine Frau fest.
„Wie soll man sich auch nicht aufregen, wenn man ständig auf Seite 1 seiner eigenen Zeitung von seinen eigenen Mitarbeitern öffentlich verspottet wird! Aber das wird aufhören...“
„Was ist denn nur los? Wieso denn verspottet?“
„Ach, weil sich meine Sekretärin vor ein paar Tagen mal mit einem Namen vertan hat. Dummerweise hatte sich das schon herumgesprochen.“
Mit einem kühnen Messerstreich enthauptete er sein Ei. Er würde einen Weg finden, derlei Frechheiten zu beenden. Und wenn er schon gegen Liane Czibull nicht ankam, dann musste er wenigstens diesen Lothar Sahm loswerden.
In den folgenden Wochen zerbrach er sich den Kopf und spionierte sich wie in guten alten Zeiten durch den Redaktionsalltag, hörte zudem nicht auf, seine Ex-Gespielin zu umschmeicheln. Vielleicht gelang es doch, sie wieder auf seine Seite zu ziehen.
Derweil der geplagte Geschäftsführer im Trüben stocherte bei seinem Ansinnen, wieder der Herr im Haus zu werden, arbeitete Lothar Sahm darauf hin, ohne es zu beabsichtigen und es auch nur zu ahnen, sich selbst ans Messer zu liefern. Er machte die Arbeit am Reiseführer ganz und gar zum Mittelpunkt seines Lebens. Natürlich konnte es nicht ausbleiben, dass er dabei in Konflikt mit seinem Beruf geriet. Bei einem 40-Stunden-Job wäre es kein Problem gewesen, nebenher in ein, zwei Stunden disziplinierten Arbeitens innerhalb weniger Monate die 80 Schreibmaschinenseiten Text zu verfassen, die vom Verlag gefordert wurden. Der Verlag freilich wollte diesen Text nicht irgendwann, sondern zu einem Stichtag, der so nah lag, dass es Lothar Sahm einen Adrenalinstoß versetzte: In der zweiten Juli-Woche war es gewesen, als Ellen bei Hartwurst und Sonnenuntergang die frohe Botschaft mit ihm gefeiert hatte; Mitte August, spätestens, hatten die Texte druckreif vorzuliegen, denn bereits zur Frankfurter Buchmesse Mitte Oktober sollte der Reiseführer auf dem Markt sein. Die Rechnung, die Ellen ihm aufstellte, war also ganz einfach: Wenn er täglich drei Seiten schrieb, würde er nach 27 Tagen fertig sein – blieben noch drei Tage für die Überarbeitung.
Gerade in diesem entscheidenden Monat aber zog Liane Czibull die Daumenschrauben an. Die Kollegen begannen nun zuweilen aufzumucken, vor allem Steffi und Lästermaul Margot machten sich zu Wortführerinnen – freilich nur in solchen Momenten, in denen mit Liane Czibulls Gegenwart nicht zu rechnen war. Lothar Sahm schwieg, wenn über sie hergezogen wurde, was ihn immer mehr aus dem Kreis der Kollegen ausschloss. Ihn belastete das nicht, er fühlte sich längst seiner Chefin mehr verbunden als diesen Duckmäusern. Er ging ihren Weg mit aufgrund von Zuneigung, so sehr ihn das noch immer befremdete beim Gedanken an manche Szene, die sich in dem Zimmer abgespielt hatte, in dem er nun so gut mit ihr auskam und das er ganz selbstverständlich als das ihre akzeptierte; er wollte sie nicht im
Weitere Kostenlose Bücher