Köhler, Manfred
mit dieser Amerikanerin, die ja fast noch ein Kind war. Und so weit weg. Auf einmal erkannte er, dass eigentlich Ellen wie geschaffen für ihn war. Alaska lockte ihn wie die Vision einer besseren Zukunft. Alles fügte sich: Eine solche Partnerschaft, beruflich, freundschaftlich, sexuell – konnte es etwas Erfüllenderes geben? Mit Ellen würde er seinem ungeliebten Alltag entkommen, allen Zwängen, und sich ein Leben aufbauen, das wirklich seinem Wesen entsprach.
Eines Nachts, nach einer ersten Besprechung zur Alaska-Reise, war er bei ihr im Wohnwagen geblieben. Erstmals seit Seattle kam es dazu, und diesmal fand er es nicht nur körperlich erfüllend. Seine Hochstimmung brach sich in Worten Bahn, er schwärmte seine Vorstellungen heraus.
„Das mit uns beiden ist in jeder Hinsicht ideal.“
„Wie meinst du das?“
„Na, überlege doch mal, wie ähnlich wir uns sind! Uns geht es beiden um totale Unabhängigkeit, wir wollen hinaus auf Reisen und die Welt für andere abbilden. Darin ergänzen wir uns perfekt. Gemeinsam können wir es bestimmt schaffen, davon zu leben. Und privat könnte es gar nicht besser sein. Weil wir beide möglichst frei sein wollen, lassen wir uns gegenseitig maximalen Freiraum. Wir können zusammen sein, und trotzdem kann jeder tun, was er will. Das habe ich noch nie erlebt, eine so offene und ungezwungene Beziehung. Warum guckst du denn so?“
Ellen hatte sich aus seiner Umarmung gelöst und war auf Abstand gegangen.
„Hab ich was Falsches gesagt?“
Er hatte erwartet, dass sie in seine Euphorie einstimmte und den gemeinsamen Lebensentwurf mit eigenen Plänen weiterbaute.
„Du bist ein Träumer!“
Sie wirkte erstaunt, ihre Stimme aber klang verärgert.
„Davon leben, vom Herumfahren, Fotografieren und Schreiben – meinst du das ernst? Das kann keiner, nicht mal die allerbesten Reisefotografen und Autoren leben nur von ihren Büchern, und da meinst du, in unserem Fall reicht das Geld sogar für zwei.“
„Ich würde natürlich noch andere Sachen schreiben, und du hast ja auch deine sonstigen Aufträge. Das ist doch kein Grund, sich so aufzuregen.“
„Mich entsetzt diese Selbstverständlichkeit, mit der du mich hernimmst, um dein Leben aufzumöbeln!“
„Ich sage doch nur, dass es sich anbietet, weil wir so viel gemeinsam haben.“
„Wir haben überhaupt nichts gemeinsam! Du mit deinem sicheren Job hast keine Ahnung davon, wie schwer es ist, sich als Freiberufler durchzuschlagen. Ohne viele ätzende Kleinaufträge käme ich nie über die Runden, schon gar nicht, wenn ich nicht auf so vieles verzichten würde, was Leuten wie dir selbstverständlich ist, zum Beispiel ein Auto, ein Haus...“
„Ich habe doch nicht gesagt, dass es leicht ist, aber die Freiheit, die du hast, entschädigt dich doch für jeden Verzicht.“
„Höre mir doch auf mit deinen Hirngespinsten! Was du Freiheit nennst, deine Art, mit anderen umzugehen und dich um nichts zu scheren als um deine eigenen Launen, das ist doch purer Egoismus. Ich bin nicht auf eine Fickbeziehung aus, ins Bett gehüpft, wenn man gerade mal Zeit und Lust hat, und wenn nicht, dann wird der andere weggestoßen.“
„Ach Unsinn, du hast mich völlig falsch verstanden! Ich meine doch gerade, dass es dann passt, wenn man sich in allem einig ist, eben darin, dass man sich nicht erdrückt, jeder lässt dem anderen seinen Freiraum.“
„Eines kann ich dir sagen: Ich würde nie mit einem ins Bett gehen, von dem ich weiß, dass er sich in meinem Charakter und meiner Lebensweise ein Alibi dafür sucht, seinen sogenannten Freiraum auszukosten.“
„Also Ellen, du musst mir hier nicht das Hausmütterchen vorspielen. Ich schätze dich gerade, weil du wild und ungebunden und bockig bist. Du kommst und gehst, wann du willst, ich finde das beneidenswert.“
„Du willst, dass ich so bin, weil du gern so wärst, und so ist es auch in allem anderen. Wir sind total verschieden. Mir liegt an meiner Arbeit, nicht an dem, was ich damit erreichen will. Geld als solches ist mir total egal. Und ich suche nicht jemand, der genauso ist wie ich, um es mir möglichst bequem machen zu können. Ich verlange nur, dass meine Lebensweise toleriert wird.“
Sie schwieg, und er wusste, es war, um ihm Gelegenheit zu geben, etwas ganz Bestimmtes zu sagen. Aber das zu sagen, wäre gelogen gewesen.
Er war bald darauf gegangen an diesem Abend. Auch am nächsten Tag oder Wochen später kam er nicht zu der Ansicht, etwas Falsches von sich gegeben zu haben.
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