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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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eingerichtet.“
    „Wieso eingerichtet? Du hast doch gesagt, die ist sowieso hier. Wir können sie gerne treffen, wenn es sich so ergibt, aber das Projekt geht vor. Wenn wir im Denali fertig sind, geht es weiter nach Fairbanks und dann auf den Alaska Highway. Den Süden können wir zum Schluss machen.“
    „Und was soll ich ihr jetzt sagen?“
    „Was weiß ich. Telefoniert halt, wenn sie gelandet ist, die hat doch bestimmt ein Handy. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege unterwegs zufällig.“
    Er überschlief sein Dilemma eine Nacht und sagte Sarah dann ab. Was sollte er machen? Er konnte sie unmöglich nach Alaska bestellen und ihr dann zumuten, ihnen hinterherzufahren. Andererseits konnte er Ellen nicht sagen, dass die geplante gemeinsame Woche sich nicht so zufällig angeboten hatte, wie er ihr im Flugzeug hatte weismachen wollen.
    Damit stand die Reise zunächst unter einem sehr schlechten Stern – zumal es ihn betrübte, dass sich Sarah über die Absage nicht sonderlich enttäuscht gezeigt und offenbar noch nicht einmal einen Flug reserviert gehabt hatte. Er gab sich nicht die geringste Mühe, seine schlechte Laune nicht an Ellen auszulassen, und da sie sich nichts gefallen ließ, gab es anfangs kaum einen Tag ohne Streit. Das ging so über den Denali Park hinaus bis hoch nach Fairbanks, dann auf dem Alaska Highway hinunter durch Tok und über die Grenze bis nach Yukon hinein.
    „Warum fotografierst du zur Abwechslung nicht mal ein Haus, in dem noch jemand wohnt?“, fragte er zum Beispiel, als sie ihre Kamera zum zweiten Mal innerhalb eines Tages neben einer halbverfallenen Hütte aufbaute. „Die Leute denken ja, es gibt bloß Ruinen in Alaska.“
    „Wir sind hier in Kanada“, belehrte sie ihn unbeeindruckt. „Schau du außerdem lieber, dass du dir ein paar Notizen machst! Sonst kriegst du wieder keinen brauchbaren Text zusammen, und wir können das ganze Projekt vergessen.“
    Damit aber betrachtete sie seinen Angriff noch nicht als pariert. Als ihm zwei Stunden später eine Geschichte unterkam, die ihn so sehr begeisterte wie sie das Flair der Pionierzeit in alten Scheunen und Geisterstädten, wich sie ihm nicht von der Seite und vermurkste ihm durch gewollt doofe und beleidigende Zwischenfragen sein Interview. Lothar Sahm hatte es ohnehin schwer genug gehabt, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln. Als Fallensteller, Jäger und Gelegenheits-Holzfäller war es der vor 30 Jahren von Hamburg nach Yukon ausgewanderte Robert Mezei gewohnt, tagelang allein in den Urwäldern unterwegs zu sein, er war dabei wortkarg geworden, sofern er es nicht immer schon gewesen war. Ellen, die diesen unfotogenen Sonderling nicht in ihrem Reiseführer porträtiert haben wollte, fragte ihn nun, ob sein Weg in die Wildnis eine Kapitulation vor den Anforderungen der modernen Zeit gewesen sei oder ob es ihm einfach nur an Toleranz anderen Menschen gegenüber mangle – und was er dabei empfinde, Tiere elend in Fallen verrecken zu lassen. Sie stellte ihm diese Fragen mit liebem Lächeln und in einem so zuckersüß-unprovokativen Tonfall, dass der gute Robert an seinen rudimentär gewordenen Deutschkenntnissen zweifelte und den Fehler lange bei sich selbst suchte, sogar noch, als sie wissen wollte, ob es nur täusche, dass bei seiner Lebensweise die Schlagfertigkeit leide und die Fähigkeit zur Kommunikation mit anderen Menschen gänzlich verlorengehe. Er ließ sich von Lothar Sahm immer wieder mit den für ihn wesentlichen Fragen ablenken: Wie er damit zurechtkomme, auf jeglichen noch so bescheidenen Luxus verzichten zu müssen, inwieweit sich seine Einstellung zum Weltgeschehen geändert habe, ob er der Ansicht sei, dem Sinn des Lebens näher zu sein durch seine Lebensweise... bis Ellen schließlich dazwischenfragte, wie er denn mit der Abwesenheit von Frauen umgehe, etwa so – und dazu eine eindeutige Handbewegung machte. Robert Mezei verabschiedete sich von Ellen mit einer ebenso eindeutigen Geste, für einen Moment hielt Lothar Sahm Handgreiflichkeiten für unausweichlich, nur mit Mühe konnte er den Einsiedler beruhigen. Mit Ellen sprach er für den Rest des Tages kein Wort mehr.
    Aber er hatte seine Lektion gelernt und verkniff sich von nun an jegliche Anregung in Bezug auf den fotografischen Teil des Projektes. Vielleicht war es sogar gut, ihrer Besessenheit, den Reiseführer zu erzwingen, das richtige Maß an konzentrierter Gelassenheit entgegenzusetzen. Auch er wollte dieses zweite Buch, unbedingt sogar; aber konnte

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