Köhler, Manfred
Urlaub!“
„Also manchmal kommt es mir vor, als sei ich mit einem kleinen Kind unterwegs! Warum um alles in der Welt willst du denn nicht zum Arzt? Das kostet uns ein paar Stunden, aber dafür wird dein Fuß wieder gesund. Willst du denn ewig herumhinken?“
„Ich bin aber nicht auslandskrankenversichert.“
„Na und, dann zahlst du eben bar. Das wird dir deine Gesundheit doch wert sein!“
„Hast du denn eine Ahnung, was die medizinische Behandlung hier kostet? Teufel noch mal, ich sage dir, ich will nicht, und so wird es gemacht!“
Drei Stunden später parkte er neben einer Arztpraxis. Diese Frau würde nicht umhin kommen, sich seine Fürsorge gefallen zu lassen. Diese Frau aber weigerte sich auszusteigen. Also ging er allein hinein, kam eine halbe Stunde später mit dem Arzt wieder heraus. Immerhin ließ sie eine Untersuchung im Auto zu. Gebrochen war der Knöchel nicht, aber der Arzt diagnostizierte Verdacht auf Bänderriss.
„Das wächst schon wieder zusammen“, meinte Ellen. „Bezahle den Mann, ich gebe dir das Geld dann später.“
„Du spinnst. Das muss operiert werden.“
„Ohne mich.“
Diesmal setzte sie sich durch. Nach seiner Meinung ein Wahnsinn. Aber er konnte sie ja nicht k.o. schlagen, um sie für die Operation nach Hause zu verfrachten. Seine Drohung, die Reise abzubrechen, ließ sie kalt.
„Dann mache ich eben alleine weiter.“
Also kam eine weitere halbe Stunde später eine Sprechstundenhilfe des Arztes zum Van der beiden Deutschen und legte Ellen einen Zinkleimverband an. 250 Dollar kostete die Behandlung. Er fragte zweimal nach und zahlte dann finsterer Miene. Fast 200 Euro für ein bisschen Abtasten und einen Verband! Ob da so eine Art Aufschlag für den Hausbesuch am Auto eingerechnet war?
Nach dieser Unterbrechung ging es weiter wie geplant. In einem der „Antique“-Läden, die es auch an den Highways des Nordens allenthalben gab, dem unsäglichsten, der ihnen bisher vor die Augen gekommen war, machte Ellen nicht nur einige Schnappschüsse malerischen Plunders, sie erstand auch eine angerostete Krücke, mit deren Hilfe sie fortan fast allein zurechtkam. Selten bei dieser Reise waren sich die beiden Wallfelder so einig wie in dieser einen Stunde zwischen Schrott, Gerümpel und manch echter Rarität. Nach erstem Ekel vor dem Durcheinander aus Museum und Müllkippe erwachten in Lothar Sahm Faszination und tiefer Respekt vor Joe, dem liebenswerten Spinner, dem der ganze Ramsch gehörte. Ein Hüne von Mann, furchteinflößend mit seinem Büffelhorn-Hut und mit nacktem, tätowiertem Oberkörper in der Sonne sitzend, erwies er sich im Gespräch als sanfter Verlierer. In 20 Jahren fleißigen Sammelns von Sperrmüll, den er für wertvolle Antiquitäten hielt, hatte er eine Rumpelkammer ohnegleichen geschaffen, eine zweistöckige Scheune samt Garagenanbau voller irrwitzig kombinierter, kreuz und quer übereinander gestapelter, von Staub und Spinnweben verklebter Gegenstände, durch die man sich nur auf schmalen, verschlungen, düsteren Pfaden vorwärts tasten konnte. Zu entdecken waren dabei auch echte Sammlerstücke: Radios und Telefone aus den 20er Jahren, Hinterlassenschaften der berühmt-berüchtigten Klondike-Kate und sogar einige der Halbedelsteine, mit denen russische Händler vor 200 Jahren Indianern ihre Pelze abgeluchst hatten. Von der Kitschverliebtheit der Touristen hatte Joe ganz gut leben können – bis ihm vor drei Jahren ein amtliches Schreiben ins Haus geflattert war, seine Scheune solle einer Straßenverbreiterung zum Opfer fallen. Seitdem hatte er über 60 mal vor Gericht gestanden, um seinen Laden zu verteidigen, hatte schließlich aber verloren. In zwei Wochen sollten die Bagger anrücken, und nun saß er da mit seinen Büffelhörnern auf dem Kopf, wild entschlossen, am Tag des Abrisses und der Verschrottung seines Besitzes auch noch die Kriegsbemalung anzulegen und nicht zu weichen. Ellen fotografierte ihn von allen Seiten. Zum Dank schenkte er ihr ein indianisches Medizinbeutelchen, das ihren Fuß ganz sicher bald wieder gesund machen werde.
Ellen war von einer baldigen Heilung ohnehin überzeugt. Eigentlich war sie doch schon kaum noch eingeschränkt, fand sie; gerade mal ein Mindestmaß an Unterstützung ihres Reisegefährten ließ sie zu. Er durfte ihre Taschen abends vom Auto zum Motel tragen und morgens vom Motel zum Auto. An ihre Kamera-Ausrüstung ließ sie ihn nicht.
Anfangs hatte Lothar Sahm ein schlechtes Gewissen, er fühlte sich als
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