Köhler, Manfred
er von innen die Tür der aus rohen Stämmen gezimmerten Blockhütte, in der sie die Nacht verbringen würden, hockte sich aufs Bett und notierte:
Worum geht es mir? Ich will ein unzerstörbares Band zwischen zwei Menschen darstellen, will über zwei schreiben, die sich gefunden haben, die sich füreinander bestimmt glauben, die genau wissen, dass sie niemals mehr eine derart tiefe Liebe mit einem anderen erleben können. In der Heimat lassen die Umstände eine Beziehung nicht zu. In der neuen Heimat, die sie sich wählen, drohen die Charakterunterschiede die Beziehung zu zerstören, obwohl sie sich unverändert lieben. Egoistische Gewohnheiten scheinen stärker zu sein als alle Verbundenheit, gerade das, was sie anzieht, ihre gegenseitige Stärke, stößt sie in ihrer Ausprägung als Egoismus ab – also kann ich die beiden nur dann ein Paar bleiben lassen, wenn die Geschichte tragisch endet. Einer von beiden stirbt, bevor es zum endgültigen Zerwürfnis kommt, und damit treten alle Unterschiede in den Hintergrund, die beiden gehören sich für immer, die Liebe bleibt in ihrer Reinheit erhalten, die Liebesgeschichte dauert gerade dadurch, dass sie abgeschlossen ist, ewig an. Der Überlebende trauert, aber behält seinen Partner für den Rest des eigenen Lebens, die Trauer ist süßer als es der Schmerz wäre, den anderen durch Trennung zu verlieren, womöglich an einen Rivalen. Trauer lässt ihm die Illusion, die Verstorbene liebe ihn für immer, eine glückliche Zukunft wäre möglich gewesen. Nur so bleibt sie ihm nah und auf seiner Seite, bleibt seine intime Vertraute, mit der er jederzeit innere Zwiesprache halten kann, nur so wird er nie darunter leiden, ihre Liebe zerstört und ihr Leben verdorben zu haben.
Das war nun endlich die Lösung, der große Widerspruch war beiseite geräumt: Diese Geschichte würde er schreiben können. Er war tief beseelt vom Glück des Schaffens. Zwar gab es Geschichten dieser Art zur Genüge: perfekte Liebe, einer der Liebenden stirbt...; er aber wollte kein weiteres Herz-Schmerz-Tränen-Drama in die Welt setzen, sondern über die Zerrissenheit schreiben, die zwei Menschen fühlen, die eigentlich nichts aneinander auszusetzen haben und doch nicht zueinander können. Er wollte zeigen, dass sich das Paradies reinster Liebe ahnen ließ, aber dass es, wie alle Paradiese, dem Menschen im Leben verschlossen bleiben musste, weil die Hölle des Alltages dazwischenstand, die durchsichtige aber undurchdringbare Barriere eigener Gewohnheiten und derer des Partners und der Gegenmaßnahmen zur Beseitigung der Gewohnheiten des anderen, selten der eigenen.
Seine Stimmung hätte nicht besser sein können an diesem Abend, und so war es auch bei Ellen. Er hörte sie auf der Holzveranda des Blockhauses herantocken mit ihrer Krücke, sie stieß die Tür auf und strahlte ihn an.
„Schau mal!“
Sie ließ die Krücke fallen und stellte sich auf ihren verletzten Fuß, mit zusammengebissenen Zähnen lächelnd, machte ein paar humpelnde Schritte in den Raum hinein und warf die Tür hinter sich zu. Hinkend trat sie zwischen seine gespreizten Beine. Beide wollten sie, diese erste Liebesnacht seit dem Zerwürfnis im Wohnwagen.
Ellen wäre nicht Ellen gewesen, hätte sie nicht in ihrer Euphorie über erste Humpelschritte die Verletzung als geheilt betrachtet. Am nächsten Morgen, Lothar Sahm kam gerade vom Outhouse zurück, sah er sie ihren Zinkleimverband abwickeln und hörte sie schimpfen.
„Pfui Teufel, das Zeug ist vielleicht klebrig!“
„Es ist ja dein Fuß, aber ich finde, du solltest nicht gleich übertreiben.“
„Keine Sorge, ich weiß genau, was ich mir zumuten kann.“
Gegen Mittag erreichten sie Dawson City. Die ersten zwei Stunden ihrer Fototour dort bestritt Ellen hinkend, dann hielt sie es nicht mehr aus und holte sich ihre Krücke aus dem Auto. Mal humpeln, dann wieder Krücke, so ging das die nächsten Tage.
„Warum um alles in der Welt benutzt du die Krücke nicht wenigstens noch so lange, bis du halbwegs schmerzfrei laufen kannst?“, stauchte er sie schließlich zusammen, als er ihr gequältes Humpeln nicht mehr ertragen konnte.
„Weil das Fotografieren damit zu lang dauert und zu umständlich ist. Ich habe noch nicht mal die Hälfte meiner Filme belichtet, das ist viel zu wenig Auswahl für ein solches Projekt.“
„Aber...“
„Sage jetzt bloß nicht wieder: Aber die Gesundheit geht vor. Das kann ich schon nicht mehr hören. Manchmal muss man eben was
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