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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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schlechtes Zeichen war. Ellen hatte auf einer klaren Aussage von höchster Stelle bestanden, und die lautete nun: Innerhalb einer Woche hatte eine Auswahl von Dias und Textproben vorzuliegen, dann werde innerhalb einer weiteren Woche entschieden, ob das Projekt verwirklicht werde. Wenn ja, woran Ellen keine Zweifel zuließ, dann hieße das, Lothar Sahm würde sein Manuskript innerhalb von drei Wochen abzuliefern haben. Insgesamt hatte er also eine Woche mehr Zeit als im Vorjahr – hatte aber rund das Dreifache an gesammelten Daten zu stemmen.
    „Am besten, du gehst gleich heim und machst dich umgehend an die Arbeit“, schlug Ellen in kaum zu überhörendem Befehlston vor. „Hast du vielleicht gestern schon was geschrieben?“
    Jetzt ging das Gedrängel wieder los. Wann hätte er gestern etwas geschrieben haben sollen? Sie waren nachmittags in Frankfurt gelandet, auf der Heimfahrt in den sonntäglichen Pendler-Stau geraten und erst spätabends in Wallfeld eingetroffen, verschwitzt, hungrig und todmüde. Er war schon stolz auf sich, noch seine Koffer ausgepackt, Wäsche gewaschen und sogar aufgehängt zu haben.
    „Du kannst mir glauben, ich nutze jede freie Minute. Aber antreiben lasse ich mich nicht!“
    „Hauptsache, dir ist klar, dass es diesmal um alles geht. Ich will nicht nur diesen zweiten Reiseführer, ich will weitere Aufträge.“
    Er schaute sie an. Sie hatte sich verändert. Fordernd war sie schon immer gewesen, aber nie so verbittert und verbiestert, so vollständig ichbezogen und erfüllt von einsamem Trotz, wie sie ihm jetzt vorkam. Sie schien gealtert, nicht seit gestern, als er sie zuletzt gesehen hatte, sondern im Vergleich zum Aufbruch vor fünfeinhalb Wochen. Dass sie hinkte, fiel ihm erst jetzt wieder so richtig auf. Sie wollte weitere Aufträge. Aber ohne mich, dachte er. Für ihn war die Partnerschaft in diesem Augenblick beendet, nur für diesen Auftrag wollte er noch durchhalten. Er drängte sich an ihr vorbei.
    „Am besten, ich komme erst wieder, wenn die Dias da sind. Rufe mich an.“
    Er sagte und meinte das wie einer, der Abstand brauchte und jemand anders aus dem Weg gehen wollte; sie verstand es als Sieg ihres Willens und seiner Vernunft. Er war sichtlich entschlossen, jede Minute zu nutzen. Gut so.
    „Das ist die richtige Einstellung“, lobte sie stramm. „Je größer der Stapel an Manuskriptseiten dann ist, desto besser.“
    Sie wollte ihn damit motivieren, ihn aufbauen und anfeuern; er hätte sich in diesem Moment am liebsten total verweigert und ihr das Projekt vor die Füße geworfen.
     
    Dafür aber lag ihm viel zu viel an seinen Geschichten. Die meisten davon mussten einfach geschrieben werden, der Rest war auch nicht verkehrt. Drei Seiten jeden Morgen, so wie vor einem Jahr. Das war wie eine Aufwärmübung für seine Rundschau-Seite, der er sich dann für den Rest des Tages mit ähnlich glühender Motivation zuwandte. Schon am Dienstag bekam er die Zusagen zweier Manager für Telefon-Interviews mit ihren Stars. Am Mittwoch hatte er das erste davon, am Donnerstag das zweite, am Freitag dann einen Termin bei Siegmar Sarburger, einem gebürtigen Wallfelder, der als Theaterschauspieler Karriere gemacht, sich mit Nebenrollen in einigen Hollywood-Filmen hervorgetan hatte, sogar mit Hauptrollen in diversen B- und C-Streifen, der durch Affären mit den prominentesten Frauen seiner Zeit zum Dauergast in den Klatschblättern geworden und nach ein Jetset-Leben im Alter von 60 Jahren in seine Heimat zurückgekehrt war, sich im Landkreis Wallfeld eine kleine Burg gekauft und der Welt den Rücken gekehrt hatte. Seit 13 Jahren keine Interviews, keine Fotos, noch nie hatte ein Zeitungsmensch sein liebevoll restauriertes Gemäuer betreten. Lothar Sahm würde der Erste sein, und nicht nur das: Sarburger hatte am Telefon eine schwere Erkrankung angedeutet mit der Bemerkung, das werde wohl das letzte Gespräch, das er einem Pressevertreter werde gewähren können. Er wolle Bilanz ziehen.
    Der gestandene Redakteur und Buchautor Lothar Sahm fühlte sich beklommen wie in seinen Anfangstagen als Praktikant, als er, seine Fototasche geschultert, über die Zugbrücke in den Innenhof der Wehranlage marschierte. Er hatte kalte, feuchte Hände und ein flaues Gefühl im Bauch. Am Telefon hatte seine Stimme gezittert, als er vor seiner Alaska-Reise den Star um ein Interview ersucht und eine vage Zusage erhalten hatte, und seine Stimme hatte ihm wieder nicht gehorcht, als er am zurückliegenden Montag

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